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SCHÖNE Grüße (3): Liebe Oma, hier ist es toll

Ab in die Ferien! In diesen Wochen frönen viele Menschen einer selten gewordenen analogen Tätigkeit: Sie schreiben Postkarten.

Ab in die Ferien! In diesen Wochen frönen viele Menschen einer selten gewordenen analogen Tätigkeit: Sie schreiben Postkarten. Anlass für eine kleine Sommerserie.

Als die Großmutter starb, vor fast zwei Jahrzehnten, hinterließ sie einen Stapel dicker Alben. Die waren eigens für Postkarten hergestellt, mit jeweils vier Ecken zum Einstecken. Sie sind prall gefüllt, sorgfältig hatte die Mutter der Mutter Hunderte von Karten nach Kategorien einsortiert: Städte, Landschaften, Kunst des Mittelalters, moderne Malerei. So fand ich meine Israel-Postkarte vom März 1972 wieder, mit den Dächern und Kuppeln von „Jerusalem, Old City“. „Liebe Oma! Lieber Opa! Wie geht es Euch? Hier in Israel ist es jedenfalls ganz toll.“ Wie „1001 Nacht“ sei der Basar, schreibt die 14-jährige Enkelin. Während dieses Israelaufenthalts der Familie brachte der Vater, Gastdozent in Tel Aviv, die großen Kinder einige Zeit im Kibbuz Kfar Hahoresh bei Nazareth unter. Dass dort jugendliche Begeisterung für Kibbuzim und für den Sozialismus aufgeblüht war, hätte man „Oma und Opa“ nicht zumuten können. Und auch sonst eigentlich nichts.

Im Speisesaal hatte Dalia, die muntere, rothaarige Altersgenossin gesagt: „You know? I love Kibbuz!“ Wie sie „love“ betonte, das verstand ich sofort. Beim Mittagessen legten Wachleute ihre Maschinenpistolen neben die Teller. Israel war bedroht. Schutz war wichtig, alle mussten zusammenhalten. Auf einer Fahrt mit den Eltern durch das Jordantal sahen wir am Wegrand einen ausgebrannten Panzer aus dem Sechstagekrieg.

Woher nur kam der Hass auf Juden? Wie gelangte so unfassbar viel Zerstörung in die Welt? Warum gab es Menschen ohne Mitgefühl, in Deutschland, bei den Arabern? In Tel Aviv, in einem Laden für Paperbacks, kaufte ich mir von meinem Taschengeld eins der Bücher, die entscheidend wurden für vieles Weitere: „Dibs. In Search of Self“ von Virginia Axline. Die geniale New Yorker Spieltherapeutin, die einem Jungen zum Ausdruck seiner Gefühle verhalf, blieb für mich immer mit Israel verbunden. Damals stellte sich mir die Frage nach der Genese von Empathie zum ersten Mal. Nichts von alledem lässt die Postkarte an Oma und Opa ahnen, gar nichts. Typisch Postkarte. So sind sie alle. Aber wer sie wiederliest, entdeckt Spurenelemente von dem, was das eigene Leben ausmacht.

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