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Kultur: Schöne neue Einfalt

Planet der Laffen: Wie die Filmemacher Doris Dörrie und Bernd Eichinger die Zukunft der Opernregie retten sollen

Regie führen kann jeder. Auch und gerade in der Oper. Auf der kuscheligen Seite des Grabens sitzen, sich ein nettes Setting ausdenken, den Sängern ein paar Anekdötchen erzählen, wenn der Vormittag lang ist, eherne Bühnengesetze beachten (wo ich stehe, kannst du nicht stehen), dem Dirigenten freie Bahn lassen: Schon ist er fertig, jener Beruf, der keiner ist. Opernregie, so will es ein uralter Branchenkalauer, sei eine Erfindung der Frau Schenk – womit die Gattin von Otto Schenk gemeint ist –, die ihren Mann offenbar dauerhaft aus dem Haus haben wollte. Prompt galt „Otti“ Schenk in den 70er Jahren neben Günther Rennert, Jean-Pierre Ponnelle und Rudolf Noelte als Großer seiner Zunft. Ein Regisseur, der, wie es heißt, sein Handwerk verstand.

Dann freilich kam 68, und es schlugen auch über „Otti“ und der Oper die Wogen des Regietheaters zusammen. Was von jenem Clash der Ideologien und ästhetischen Anschauungen für das 21. Jahrhundert übrig geblieben ist, lässt sich recht gut an Robert Carsens „Rosenkavalier“ bei den letztjährigen Salzburger Festspielen studieren: Eine im landläufigen Sinne konventionelle Aufführung, in der es von inszenatorischen Schludrigkeiten und Fehlern nur so wimmelte. Und beides, wohlgemerkt, weitet sich seit Jahren ins Symptomatische, die Rückkehr des Konventionellen wie dessen durchaus mangelhafte Qualitäten.

Das heißt: Die unter heutigen Regisseuren verbreitete Allergie gegen das so genannte moderne Regietheater (und wer brüstete sich nicht damit!), sie paart sich längst mit eklatanten Lücken im Handwerk. Das heißt auch: Das Regietheater selbst, jenes Schürfen nach dem Stück hinter dem Stück, jene programmatische Verlängerung des Vergangenen mitten hinein in die Gegenwart des Betrachters, es hat das Handwerkliche mehr und mehr bedroht und verkommen lassen. Wo Konzepte (das nächste Hasswort) geschmiedet, Übersetzungen angefertigt und Verpackungen geschnürt werden, da ist es nicht mehr so wichtig, ob die Übergänge stimmen oder das Licht Schatten wirft, ob das szenische Timing einer Arie mit der Musik atmet oder, arhythmisch, dagegen, und ob die Menschen auf der Bühne sich zur Dreidimensionalität bekennen oder bloß, wie meist, einen handtuchbreiten Streifen vorne an der Rampe bespielen, face à face mit Dirigent und Saal.

So ein Handwerk aber verlernt sich. Die böse verpönte Werktreue, die im besten Fall stets mehr gewesen ist als ein buchstabengerechtes Aufklappen von Regieanweisungen ins Räumliche, sie hat sich vor unseren Augen und Ohren längst ins Schimärenhafte, Illusionistische verabschiedet. Wirklich fähig ist dazu heute niemand mehr. Die traurige vorläufige Klimax dieser Entwicklung bot unlängst die Berliner Lindenoper mit Bernd Eichingers „Parsifal“. Eine Aufführung, die wie eine reife Wassermelone in zwei Teile zerfiel: vorne knorrige Eichen, blutende Schwäne und ringende Hände, hinten kunterbunte Videospiele. Was Eichinger damit bezweckte, lässt sich wiederum beim Kollegen Volker Schlöndorff nachlesen, der im Vorfeld seiner Janácek-Premiere an der Deutschen Oper Berlin („Aus einem Totenhaus“) seinen ganz persönlichen Werktreue-Begriff mit dem schönen Satz erläuterte: „Hält sich ein Regisseur beim Film nicht an das Drehbuch, fliegt er auf der Stelle raus.“ Gemeint hat Schlöndorff natürlich: Wer sich in der Oper nicht an den Text hält, an Libretto und Partitur, der sollte seinen Selbstverwirklichungstrip bitte anderswo ausleben. Sätze von Alt-68ern für Alt-68er? Autoritäre Sätze, muffige Sätze, Sätze wie Ohrfeigen ins Antlitz eines jeden halbwegs wachen, kritisch aufgeklärten Bewusstseins.

Man muss nicht hermeneutisch werden, um zu erklären, dass auch Galionsfiguren des Regietheaters wie Ruth Berghaus oder Peter Konwitschny, Götz Friedrich oder Hans Neuenfels, Calixto Bieito oder Sebastian Baumgarten nichts anderes tun und getan haben, als den Text zu lesen. Nur nehmen sie nicht a priori alles darin wörtlich und eins zu eins. Schließlich bewegt sich die Oper mit ihren über 400 Jahren – sehr kursorisch – in einem historischen Koordinatensystem, das es anders zu reflektieren gilt als ein x-beliebiger story plot aus dem Hier und Jetzt.

Das Musiktheater jedenfalls, das jener neokonservativen Haltung der Herren Filmemacher entspringt, ist im Ergebnis denkbar ernüchternd. Ein paar technische Spielereien, wie gesagt, jede Menge Mottenkiste, nicht zuletzt weil die Seherfahrung, das Opernvorleben, fehlt – und ein eher bescheidener, sich nicht selten aus Ehrfurcht, ja aus Angst vor der Musik duckender Wille zum Ausdruck. Man möchte es vielleicht nicht glauben, aber auch Doris Dörries Regietaten von der Berliner „Così“ 2001 bis zum aktuellen Münchner „Rigoletto“ folgen diesem Muster. Gewiss, bei ihr sieht das Ganze schon aus Prinzip poppiger aus (Mozarts Türken-Maskerade als Blick in selige Flower-Power-Zeiten, Verdis Narr als einziger Mensch auf einem dem Kino getreulich nachempfundenen „Planet der Affen“) – aber im Grunde ändern all diese Verpackungskünste nichts. Der alte Trick: Man denke sich die ganze Staffage einen winzigen Moment lang weg, lasse die Sänger gleichsam nackt agieren – prompt tritt an Substanz, an eigentlicher Regiearbeit kein Jota mehr zutage als bei Eichinger & Co. Die galligen Abgründe der „Così“ erschöpfen sich in postmodernen Beziehungständeleien, das Herzzittern im Vater-Tochter-Verhältnis bei Verdi bleibt vollständig unterbelichtet – und der Rest ist Rampe.

In einer aktuellen Umfrage hat das ARD-Magazin „panorama“ herausgefunden, dass der deutsche Wähler von einer neuen Sehnsucht nach Sachlichkeit befallen ist. Vom Spontie zum Außenminister, ha, das war einmal, so der Tenor, und wenn Gerhard Schröder 1998 noch vom Glauben an die Erneuerung des politischen Geistes ins Kanzleramt geweht wurde, dann gibt es darauf heute nur eine Antwort: die Renaissance des Klassisch- Konservativen in Gestalt des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). Dank seines ältlich-seriösen Schwiegersohn-Images nämlich hat Wulff die Nase vorn, schlägt Schröder just in den Kategorien „Glaubwürdigkeit“ und „Sachkundigkeit“ um Längen.

Das bedeutet: Das Volk ist es ernstlich müde, von Unsachkundigen, von Dilettanten regiert zu werden – wobei der Dilettant keineswegs nur den bekennenden Nichtfachmann meint, sondern auch den Liebhaber. Es geht uns politisch also nicht länger ums Lieb- respektive Lustigsein oder ums gute Aussehen, es geht um Fakten und um Authentizität (wobei ein unlustiger, hässlicher Politiker allein noch kein Garant fürs bessere Leben ist).

Eben solche Fakten aber werden derzeit auch im Musiktheater neu geschaffen – nur dass der Prozess (lang ist die Kunst, kurz das Leben) exakt umgekehrt verläuft. Hier kürt man nicht die Fachleute und hartgesottenen Spezialisten zu neuen/alten Heilsbringern, sondern, jawoll, die Dilettanten. Diejenigen, die von der Kompliziertheit des Metiers garantiert nichts verstehen – und sich all seiner rezeptionsästhetischen Wucherungen im Handstreich entledigen. Das mit der Oper, sagt Dörrie, sei nicht ihre Idee gewesen, sie würde nur immer wieder gefragt. Und: warum nicht? Blinde Hühner finden bisweilen fette Körner, und wer würde der genialischen Intuition nicht jederzeit den Vorzug geben vor wie viel Erfahrung, welch hochmögendem Regie-Diplom auch immer?

Im Grunde könnte einem das Ganze getrost egal sein. Seit es sie gibt, hat die Oper hat ein in erster Linie ökonomisch motiviertes Akzeptanzproblem – entsprechend vielfältig sind die Wege und Weisen seiner Beseitigung. Warum also im 21. Jahrhundert nicht zu einer Marketingstrategie greifen, die insofern verlässlich funktioniert, als die fachfremden Regie- Promis regelmäßig ausverkaufte Häuser provozieren? Für mehr als Marketing indes stehen Dörrie, Eichinger & Co. nicht. Allenfalls dass es sie jetzt gibt, könnte ein Symptom sein: Für den allmählichen Verfall (siehe oben) eines Berufes, der Gefahr läuft, seinem kritischen Geist und Qualitätsanspruch untreu zu werden; für die Leichtfertigkeit und die Not der Intendanten; für eine chice neue Einfalt in der Kunst, einen neuerlichen rollback.

Auch Quereinsteiger hat es in der Oper immer gegeben. Das System saugt sie ein und spuckt sie wieder aus, früher oder später. Eines allerdings galt schon „Otti“ Schenk als absolutes Tabu: eine sterbenslangweilige, Lebenszeit raubende Aufführung. Insofern sollte vielleicht doch nicht jeder Regie führen dürfen.

Christine Lemke-Matwey

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