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Kultur: Schöner leiden

Björn Bicker schreibt ein reißbretthaftes Vaterbuch.

Waren sie nicht vorbei, die Zeiten, in denen Figuren in deutschsprachigen Romanen programmatisch kunstlos Holger hießen? Zeiten, in denen die Holgers Sätze sagten wie „Das Heute kann man nicht vom Gestern trennen“? Nichts ist vorbei. Björn Bicker ist da unerbittlich. Er schickt Elisabeth, eine Schauspielerin, auf Vatersuche in die finstere Vergangenheit und lässt dabei nichts aus, was der Topos verlangt.

Am Anfang steht ein unbekannter Halbbruder aus Amerika, der Elisabeth ein Foto der Münchener Olympiaschwimmhalle von 1972 vor die Nase hält. Schnell vernachlässigt sie Job, Freund und Gegenwart und reist stattdessen in die Geschichte ihres Vaters. Der war Sohn von Nazi-Eltern, wurde in der DDR als Mitglied der evangelischen Jungen Gemeinde drangsaliert, floh in den Westen und entwickelte sich, während er als sozialdemokratisch engagierter Bundeswehroffizier Karriere machte, zum cholerischen Trinker. Am Ende wird die ungewollt kinderlose Elisabeth endlich schwanger sein (befreit von der Vergangenheit!); bis dahin aber fließt viel Blut (die Gene, das Erbe!); Elisabeth quält sich beim Schreiben (Erinnerung!) und das ausgerechnet in Wien (Psychoanalyse!).

Wer so viel weiß wie Bicker, sollte eigentlich auch wissen, in welche Schemata er sich einschreibt. Denn was hier entsteht, ist ein peinigender Neuaufguss der „Väterbücher“ aus den 1970ern und 80ern, in denen Christoph Meckel oder Bernward Vesper mit ihren privaten Suchbewegungen zugleich gesellschaftliche Selbstverständigung betrieben.

Sicher, der Münchner Theaterdramaturg Bicker presst auch ein Stück bundesdeutsche Gegenwart in Gestalt der Abschiebung eines Roma-Flüchtlings ins Buch – und bringt damit sein letztes Theaterprojekt „Illegal. Wie sind viele. Wir sind da“ unter. Vor allem aber hat er Glück, dass ihm die DDR als Material zugewachsen ist. Das trägt ihm neben ein paar versoffenen Bettelossis und einem durchgeknallten Stasi-Oberst wenigstens einen guruhaften DDR-Widerständler ein, der auf seine Art diktaturgeschädigt ist – die einzige Figur, die Bicker vom Reißbrett springt. Dass sie diesen Roman rettet, dessen Sätze sich zu einer eigentümlich transparenten, stimmlosen Prosa formieren, kann man allerdings kaum behaupten. Steffen Richter

Björn Bicker: Was wir erben. Roman.

Verlag Antje Kunstmann, München 2013. 300 Seiten, 19,95 €.

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