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Kultur: Schöner schneiden

Bollywood und Blondies: die Tagung „The Re-turn of Beauty“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt

Schon schön: Seit Wochen hält das Berliner Haus der Kulturen der Welt in Gestalt einer Ausstellung („Über Schönheit“) einen Schönheitswettbewerb ab. Zum Abschluss wurden nun auf einer internationalen Konferenz die „Schönheitsfehler“ ins Visier genommen, die symptomatisch sind für den neuen Schönheitsterror.

„Beauty“ lautet das Stichwort. Während man früher noch das Verschwinden der Schönheit beklagte, kommt nun alles wieder zurück. Unbeschwert ließ die Postmoderne wie mit der „Return“-Taste alles wiederkehren: the return of the real, the return of the picture, bekannt als the pictorial turn, der performative turn, dann der advertisement turn. Das ist die Macht der Werbung. Gerade sie hat unsere Bildwelten radikal verschoben. Von den Pop-Art-Künstlern wurde dies in den Sechzigern zuerst erkannt und genutzt. Der advertisement turn führt dazu, dass wir längst als Models für die Verwertungsinteressen großer Firmen umherlaufen. Eigentlich müsste er heute die Basis jeder Bildwissenschaft sein.

Und nun turnt die Beauty. Auch der künstlerische Leiter der nächsten Documenta, Roger M. Buergel, ist auf den Zug aufgesprungen und verspricht, dass es bei ihm wieder Schönheit geben soll. Die beiden vorangegangenen Ausgaben von Catherine David und Okwui Enwezor feierten dagegen die Dokumentation und den soziologischen Diskurs.

Stehen wir also vor einer neuen „Belle Epoque“, vergleichbar jener Periode um die Jahrhundertwende, die verdrängte, was hinter den Fabrikmauern passierte? Inzwischen gibt es viele Künstler, die den advertisement turn nicht nur ironisieren, sondern ihn zu übertrumpfen suchen wie der amerikanische Video-Künstler Matthew Barney mit seinem „Cremaster“-Zyklus, der auch im Haus der Kulturen zu sehen war. Eigentlich verbirgt sich dahinter eine simple Ödipus-Geschichte: Hauptsache, du bringst deinen Vater um und wirst dann von deiner Mutter ermordet. Da stellt sich die psycho-morphologische Frage: Wird der Mensch immer schöner, wenn er die Nachtseite seiner Gefühle verdrängt? Dann wären wir im Paradies einer neuen Unschuld und die Katastrophen passierten nur durch dummen Zufall.

Für mehr Verwirrung sorgten die Fragen der Tagung: Schönheit als Gegengewicht zum Terror? Der Täter erschrickt vor realer Schönheit und versagt sich seine Pläne? Würde der neue Papst eine solche Konferenz veranstalten, wüssten die Teilnehmer weit besser, welches Objekt sie verhandelten. Er würde die Schönheit als platonisches Ideal oder christliche Erscheinungsform der Wahrheit aufrufen. Auf der ebenso anregenden wie chaotischen Tagung im Haus der Kulturen wurde jedoch nur schwer erkennbar, um welchen Gegenstand man sich da bemühte. Stattdessen ging es global, medial, selbstreferentiell zu. Für den globalen Aspekt standen jene Chinesinnen, die sich ihre Augen nach westlichem Vorbild weiten und mittels Knochenbrechung die Beine verlängern lassen. Dagegen lassen sich Nordeuropäer die Haut auf der Sonnenbank andunkeln und Marcelinhos erblonden nordisch. Wohltuend hoben sich da die Plädoyers gegen den Beauty-Koller ab. Die Inderin Gayatri Spivak (Columbia University, New York) trug ein Sanskrit-Gedicht vor, in dem von einer schönen Frau die Rede ist. Schön ist, wie diese sich bewegt, schaut, lächelt, spricht. Die Referentin blendete dazu über auf die Kitsch-Produktionen von Bollywood mit ihren austauschbaren Frauenfiguren, während es im indischen Film der Fünfzigerjahre noch um eine kulturelle Identität ging.

Marie-Luise Angerer (Kunsthochschule für Medien, Köln) sprach sehr konkret über Schönheit in ihrem Vortrag „Beauty Cuts. Von Klemmstellen (nip) und Querstreifen (tuck)“. Immer mehr Frauen und Männer legten sich unters Messer, sähen danach aber nicht schöner, eher traumatisiert aus. Die seit den Siebzigern verbreitete Krankheit Anorexie würde zunehmend durch „cutting and branding“ ersetzt. Prominente Beispiele dafür sind „Carnal Art“ und die Operations-Performances der französischen Künstlerin Orlan. Angerer zitierte die slowenische Kulturwissenschaftlerin Renata Saleci, die auf eine Verbindung zwischen „Body Art“ und Klitorisbeschneidung mit der Frage aufmerksam gemacht habe: Warum gilt im Westen etwas als Kunst, was in Afrika grauenhafte Körperverstümmelung ist. Die Referentin selbst ging noch einen Schritt weiter. Sie sieht nicht nur die body cuts, sondern auch die Klitorisbeschneidungen als ein Problem unserer Kultur, in der Schnitte in den Körper die symbolische Funktion und die Sprache ersetzen.

In diesem Sinn leistete die Referentin, was der heute in Jena lehrende Philosoph Wolfgang Welsch („Ästhetisches Denken“) schon vor 15 Jahren gefordert hat: eine vollständige Zurückweisung des Begriffs der Schönheit in der Ästhetik, da man das Denken bedenken müsse, das jeglichen Schönheitsdiskurs anleite. Mehr denken, weniger fühlen, das wäre mal ein wirklich neuer Turn: the thinking turn.

Caroline Neubaur

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