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Kultur: „Schönheit ist nicht reaktionär“

Der Filmregisseur Volker Schlöndorff inszeniert „Aus einem Totenhaus“ an der Deutschen Oper

Herr Schlöndorff, Sie sind in einem bürgerlichen Haushalt groß geworden. Waren Ihre Eltern Opernfans?

Ja, aber das hat mich eher abgetörnt. Ich habe die Oper erst für mich entdeckt, als ich den Komponisten Hans Werner Henze kennen lernte. Ich kam zu ihm mit meinem ersten Film, „Der junge Törless“, und bat ihn, die Musik zu schreiben. Gut, hat er gesagt, ich mache Ihnen die Musik zu Ihren Bildern – aber nur unter der Bedingung, dass Sie dann auch die Bilder zu meiner Musik machen. So kam ich zu meiner ersten Opernregie, „We come to the river“...

... 1976 an der Deutschen Oper Berlin.

Ja, genau. Durch Henze wurde mir bewusst, wie stark die Beziehung zwischen Musik und Handlung sein kann. Jede Filmmusik ist im Grund die Fortsetzung von Opernkomposition. Im Theater gibt es das nicht, dass bei emotionalen Höhepunkten die Musik in die Handlung eingreift.

Wie erleben Sie Ihre Rückkehr an die Stätte ihres Debüts nach fast dreißig Jahren?

Es hat sich eigentlich nichts verändert, zumindest hat es bestimmt seitdem keinen neuen Anstrich mehr gegeben, keine Renovierung. Als ich nach der Wende die Babelsberger Defa-Studios übernommen habe, waren die in einem besseren Zustand! Generell finde ich es schwer, irgendeine Atmosphäre in diesem Haus herzustellen, weil es so ein rein funktionaler Bau ist. Aber damals war es ein guter Ort für die Henze-Oper, die ja in Bürgerkriegszeiten spielt. Auch für Janaceks „Aus einem Totenhaus“ ist er besser geeignet als die Staatsoper, weil das Kerkerambiente hier schon vorgegeben ist – bitte denken Sie sich jetzt zu meinen Worten die Regieanweisung: ironisch.

Sie sind also ein Fan von historischen Theatergebäuden?

Moderne Häuser haben es schwer, weil Oper eine tradierte Kunstform ist – und die sollte in einem tradierten Gebäude aufgeführt werden. Gerade wenn es einem um die Erneuerung des Genres geht. Versucht man die Modernisierung in einem Fünfzigerjahre-Haus, wirkt es, als wolle man sich dem Gebäude anpassen. Es geht aber auch um das Gefühl der Sänger auf der Szene: Ein Sänger muss groß fühlen, um gut singen zu können. Auf einer Riesenbühne wie beispielsweise der Bastille-Oper in Paris kommt man sich unendlich klein vor – und das ist kontraproduktiv, weil es um überlebensgroße Gestalten geht.

Apropos Paris: Dort haben Sie Janaceks „Totenhaus“ 1988 schon einmal inszeniert.

Aber in einem extrem kleinen Haus, nämlich der Opéra Comique. Szenisch war da fast gar nichts möglich. Doch damals habe ich begriffen: Im Grunde kann man diese Oper wie ein Oratorium aufführen, wie eine Passionsgeschichte. Arien im konventionellen Sinne gibt es nicht, die Sänger, die nacheinander ihre Lebensbeichten ablegen, müssen den Raum herstellen, in dem sich die Fantasie des Zuschauers entfalten kann, so wie beim Lesen des Romans von Dostojewskij, den Janacek als Vorlage wählte. Ich inszeniere also ein Musik-Theater – so lebendig wie möglich, so stilisiert wie nötig. Die Solisten sollen nicht zum Chor auf der Bühne sprechen, sondern allein sein mit dem Publikum. So, als würde man im Film alle anderen ausblenden und nur einen in Großaufnahme zeigen. Die Erzählungen der Lagerinsassen sind umso bewegender, je mehr man sich als Zuschauer mit den Gefangenen identifiziert. Darum machen wir die Oper nicht in tschechischer Originalsprache, sondern auf Deutsch. Die Leute sollen sich unmittelbar angesprochen fühlen, nicht auf dem Umweg durch Übertitel.

Ursprünglich sollte Christian Thielemann die Produktion dirigieren.

Ich bin sehr dankbar, dass Adam Fischer eingesprungen ist, nachdem Thielemann sein Amt als Generalmusikdirektor niedergelegt hat. Aber es ist wahr, eigentlich hat Thielemann mich hierher geholt. Wir hatten einige Gespräche und ich war gespannt, wie er Janacek machen würde. Für mich besteht bei der Opernarbeit ja die halbe Freude darin, mit Hilfe des Dirigenten die Musik zu entdecken. Ich könnte mir vorstellen, dass Thielemann die Partitur sehr durchsichtig macht, sehr sängerfreundlich. Thielemann ist eine extrem charismatische Persönlichkeit: Das macht jede seiner Aufführungen zu einem Ereignis. Jemanden wie Thielmann gehen zu lassen, ist eine Dummheit. Erst war ich nur enttäuscht, dass ich nicht mit ihm arbeiten kann, aber jetzt, aus der Innenperspektive, ermesse ich erst, welchen Verlust für das Haus sein Weggang darstellt. Was mich nicht hindert, gerne mit Adam Fischer zu arbeiten, der mir sehr ähnlich ist.

Zwei gegensätzlichere Charaktere als Sie und Thielemann sind schwer vorstellbar...

Ich weiß nicht, ob man so inszenieren könnte wie er dirigiert. Ich kenne Regisseure, die so sind wie Thielemann, Visconti zum Beispiel. Ich scheue mich vom Temperament her, charismatisch sein zu wollen und versuche immer, Respekt abzubauen, Komplizität herzustellen.

Haben Sie für die Zukunft gemeinsame Opernpläne mit Thielemann?.

Ehrlich gesagt, würde ich vor allem gerne in Berlin arbeiten. Ich bin mein ganzes Leben auf Achse gewesen und freue mich, endlich mal in einer Stadt zu inszenieren, in der ich auch lebe. Jetzt will ich meine Visitenkarte abgeben in der Hoffnung, dass irgendjemand auf mich aufmerksam wird. Wir werden sehen, ob es hier oder woanders in der Stadt weitergeht.

Bislang haben Sie vor allem Opern des 20. Jahrhunderts inszeniert. Drängt es Sie gar nicht, auch mal etwas von Mozart zu machen?

Nein, ich erlebe Mozart lieber als Zuschauer. Ich habe einige Mozart-Opern von Visconti inszeniert gesehen: So klassisch muss man diese Werke machen.

„Aus einem Totenhaus“ war 1981 die Antrittsinszenierung von Götz Friedrich als Generalintendant der Deutschen Oper.

Das wusste ich, Gott sei Dank, nicht. Sonst wäre ich zu eingeschüchtert gewesen. Ich habe Fotos gesehen, und muss sagen, der harte Realismus, der da versucht wird, ist nicht meine Sache. Wenn ich das will, mache ich einen Film. Realismus auf der Bühne soll man gar nicht erst versuchen, schon gar nicht bei Werken wie Janaceks „Totenhaus“. Für meinen jüngsten Film, „Der neunte Tag“, habe ich gerade ein anderes Gefangenenlager gefilmt, bei minus zehn Grad, mit Schnee und Dreck. Mit ausgemergelten Schauspielern und allem, was man sich an Authentizität vorstellen kann. Das kann ich auf der Bühne nicht hinbekommen. Also versuche ich, weder Hunger noch harte Arbeit darzustellen, sondern nur darauf hinzuweisen. Was mir vorschwebt, ist stilisiertes Schauspiel, so wie Lars von Triers „Dogville“. Die Bühne soll nur helfen, dass die Fantasie in Bewegung kommt. Wo die naturalistischen Inszenierungen versuchen, Härte herzustellen, versuche ich, Schönheit herzustellen. Das empfinde ich nicht als reaktionär. So geht Kunst heute mit Elend um, weil man Elend nicht einfach eins zu eins nachbilden kann.

Vermissen Sie bei der Arbeit in der Oper eigentlich den Kameramann?

Nein, sehen Sie, Regie ist zu 90 Prozent Umgang mit Menschen. Es geht darum, die Leute dazu zu bringen, am gleichen Strang zu ziehen. Und ob das nun eine Opernkompagnie ist oder ein Filmteam, immer dreht sich alles um Motivation. Ich kann keinen besser machen, als er ist – aber wenn ich jeden motiviert habe, bei der Sache zu sein, dann habe ich meine Arbeit getan.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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