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Kultur: Schreckgespenst Rezession: Ein Fall für die ganze Welt

Die Weltbörsen kennen kein Halten mehr. Tag für Tag werden die Anleger geschockt.

Die Weltbörsen kennen kein Halten mehr. Tag für Tag werden die Anleger geschockt. Es sind nicht nur New York, Frankfurt oder Tokio. Es sind auch die kleinen und mittelgroßen Handelsplätze, an denen die Kurse mit nie gekannter Geschwindigkeit fallen. Dass sich am Freitag die Kurse von ihrem tiefen Sturz am Vorabend ein wenig erholt haben, vermag niemanden mehr zu beruhigen. Denn die Verluste insgesamt sind dramatisch: Verglichen mit dem März 2000 hat sich der Wert aller japanischen Aktien fast halbiert. Prozentual gleich hohe Verluste meldet übrigens auch Schweden. In Deutschland, England, Italien, Kanada und USA schrumpfen die Börsenindizies um ein Drittel. "Wir beobachten gerade eine der größten Geldvernichtungsaktionen in der modernen Geschichte", schreibt das Wall Street Journal.

Dieser Absturz wäre an sich schon schlimm genug. Denn die Zahlen spiegeln enttäuschte Hoffnungen vieler Anleger, auch vieler kleiner Aktiensparer, die auf eine positive Rendite an den Börsen als Sicherung ihres Alters oder als Erbe für die Kinder hofften. Doch seit Tagen mehren sich die Stimmen der Ökonomen, die den Triumph der Pessimisten an den Börsen als Frühindikator einer Krise der Weltwirtschaft interpretieren. US-Vizepräsident Dick Cheney hat sich nur ein Mal im Wahlkampf den Mund verbrannt und das R-Wort benutzt. Seither redet offiziell niemand mehr von Rezession, schon gar nicht der Präsident der US-Notenbank Alan Greenspan. Um so ernster muss es sein. Ist die Kehrseite globalen Wachstums jetzt eine globale Rezession? Der Millenniumswechsel zwischen 2000 und 2001 war die Zäsur. Denn die Weltwirtschaft wuchs im Vorjahr um gute fünf Prozent, so satt wie seit 16 Jahren nicht mehr. Jetzt sieht Alan Greenspan das Wachstum im ersten Quartal 2001 "nahe Null".

Auch in Deutschland korrigieren die Forschungsinstitute ihre Prognosen wöchentlich nach unten. Meldungen über Massenentlassungen großer Unternehmen und Ankündigungen schrumpfender Gewinne gehören in den USA schon zur üblichen Tagesankündigung. Zuletzt gab am Donnerstag das Unternehmen Procter & Gamble bekannt, dass es für fast 10 000 Mitarbeiter keine Arbeit mehr habe.

Die Ökonomen holen weit aus, um Vergleichsfälle zu finden. Immer häufiger reden sie über 1929, den Schwarzen Freitag an der Wall Street, der zugleich den Beginn der Weltwirtschaftskrise markierte. Denn der Rückgriff auf den letzten Börsencrash im Oktober 1987, kurz nach dem Amtsantritt Alan Greenspans, reicht schon lange nicht mehr: Der Verlust an Aktienwohlstand ist heute vier Mal größer als 1987. Dazwischen lag freilich auch der größte und schnellste Boom in der Geschichte der Börsen. Dieser Aktienboom war die Bedingung dafür, dass die technische Revolution des Internet sich überhaupt in solcher Geschwindigkeit über die Welt ausbreiten konnte. "Die Einführung des Internet hätte ohne den Boom der Börsen viel viel länger gedauert", sagt David Hale, Chefökonom der Zürich Gruppe. Sehenden Auges hat die amerikanische Notenbank in den 90er Jahren die Spekulationsblase geduldet, obwohl viele damals schon gewarnt haben, die Explosion der Preise an der Börse sei nichts anderes als Inflation, gegen welche sich die Geldpolitik stemmen müsste. Greenspan argumentierte umgekehrt: Viel Geld wurde in Unternehmen der New Economy - mit guten und schlechten Ideen - gepumpt, das der neuen Technik den Durchbruch ermöglichte. Denn Unternehmer sind per se nicht besonders risikofreudig. Das viele Wagniskapital, das die Anleger fast blind zur Verfügung stellten, hat ihren Mut gestärkt. "Trotz aller Übertreibung bin ich davon überzeugt, dass am Ende mehr Positives als Negatives herauskommt", sagte Greenspan schon 1999.

Auch 1929 wurde mit viel Geld von den Finanzmärkten die erste Industrielle Revolution von Eisenbahn, Auto und Telefon finanziert. "Technologische Innovation scheint immer auf periodischen Investitionsmanien zu beruhen", schreibt der Wirtschaftshistoriker Boyan Johanovic in einer Studie der Universität Chicago. Jahre der kreativen Zerstörung sind immer auch Jahre eines Angebotsüberschusses. Das hat der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter schon Ende der 20er Jahre gesehen. Doch plötzlich, damals wie heute, wollen die Anleger Erfolge sehen. Und die Unternehmen passen ihre Lager an den Bedarf an. Einbrechende Aktienmärkte und schwindendes Wachstum sind die Folge.

Die große Quizfrage heißt jetzt freilich:Wird alles - anders als 1929 - schneller wieder gut? Dass USA und Japan gemeinsam darben ist kein Hoffnungszeichen. Das schlimmste wäre, wenn die Verbraucher jetzt das Vertrauen verlören und ihren Konsum drosselten. Dann kämen, wie seit zehn Jahren in Japan, auch Geld- und Konjunkturpolitik an ihre Grenzen. Aber dieses Szenario malt derzeit (noch) niemand.

Rainer Hank

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