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SCHREIB Waren: Der Professor und die Tiere

Steffen Richter auf den Spuren einer bewegten Autorenbiografie

Wenn man in stilleren Sommerwochen den Literaturbetrieb des Frühjahrs mit ein wenig Distanz betrachtet, kann einem mulmig werden. Welch wundersame Informationen doch das Hirn verstopfen! Gefühlte 100 Bücher gab es zum Thema ’68, Clemens Meyer begeisterte fast alle, als er auf seinen Leipziger Buchpreis einen Schluck aus der Pulle nahm; Tilmann Rammstedt hat den Bachmann- Preis gewonnen. Glücklicherweise wird ohnehin vieles schnell „gelöscht“. Wie hieß eigentlich der letzte Kleist-/Chamisso-/Döblin-Preisträger?

Der Literaturbetrieb in seiner quasi- industrialisierten Form produziert unablässig Ereignisse: eine dichte Gegenwart. Nur reicht das Gedächtnis mit seiner beschränkten Kapazität da kaum noch vor die laufende Saison zurück. Nun will man gerade die ganze Aktualität vergessen, da kommt das wackere Brecht-Haus und macht bereits Vergessenes wieder aktuell: Eine Woche soll es um die Aktualität Friedrich Wolfs gehen. Die Aktualität Friedrich Wolfs? Vermutlich denkt man zuerst an seine Söhne: Markus Wolf, Chef des DDR-Auslandsnachrichtendienstes, und Konrad Wolf, großartiger Defa-Regisseur. Aber der Vater? Wer eine DDR- Schule besucht hat, dem dürfte noch die Wolf’sche Devise „Kunst ist Waffe!“ im Ohr dröhnen. Auch könnte er sich an die Pflichtlektüre des „Professor Mamlock“ erinnern – eines Dramas um einen jüdischen Chirurgen, der von den Nazis aus seiner Klinik und in den Selbstmord getrieben wird. Doch ist das aktuell? Interessanter als das Werk ist vielleicht die Person. Friedrich Wolf (1888–1953) war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Arzt – und als solcher ein Vorreiter der Naturheilmedizin und Vertreter der Lebensreformbewegung.

Wolf ist als Schiffsarzt kurze Zeit auf der Linie Kanada–Grönland–USA gefahren, war KPD-Mitglied, wurde auf dem Weg zu den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg interniert und emigrierte in die Sowjetunion (wo er Stalins Säuberungen überlebte). Nach der Rückkehr war er Botschafter der DDR in Polen und ist im brandenburgischen Lehnitz gestorben. Täglich (22.–25.7., jeweils 20 Uhr) wird nun im Brecht-Haus (Chausseestr. 125) diskutiert: über den Arzt und Lebensreformer Wolf, über zwei sehr unterschiedliche „Mamlock“- Verfilmungen und über Wolfs Tiererzählungen . In diesem Genre ist Friedrich Wolf heute noch am präsentesten: Seine Geschichte von der „Weihnachtsgans Auguste“, die von Kindern vor der Schlachtung gerettet wird, ist als Film oder Hörspiel ein Weihnachtsklassiker und hat es sogar ans Wiener Burgtheater geschafft. Gewiss, saisonale Aktualität sieht anders aus.

Aber offenbar gibt es nichts Historisches, aus dem sich rein gar nichts lernen ließe. Erstaunlicherweise ist das zuweilen interessanter als die auf Aktualität und schnelles Vergessen geeichte Gegenwart.

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