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SCHREIB Waren: Eine Hand wäscht zwei andere

Einen Vorteil hat die sogenannte Griechenlandkrise schon. Nach dem großen Drama und den Kampagnen fällt nun das mediale Licht der Aufmerksamkeit etwas schuldbewusst auch auf griechische (oder in Griechenland spielende) Literatur.

Einen Vorteil hat die sogenannte Griechenlandkrise schon. Nach dem großen Drama und den Kampagnen fällt nun das mediale Licht der Aufmerksamkeit etwas schuldbewusst auch auf griechische (oder in Griechenland spielende) Literatur. Vor einigen Wochen begeisterte die Wucht und Ironie junger griechischer Lyriker wie Jazra Khaleed und Dimitra Kotoula beim Berliner Poesiefestival. Und überall wird gerade die im Dörlemann Verlag herausgekommene Neuübersetzung des großartigen Mani-Buches von Patrick Leigh Fermor gelobt, der – inzwischen über neunzig Jahre alt – in einem Küstenort auf der Peloponnes lebt.

Freilich spielt auch der Zufall mit. Bis auf die archaisch anmutenden Inselromane Ioanna Karystianis und die Athen-Krimis von Petros Markaris wurde bisher kaum etwas übersetzt. Gerade in diesem Krisenfrühjahr aber bringt der Manesse-Verlag einen Band mit wunderbaren Erzählungen und Satiren des Ironikers Emmanouil Roidis heraus, bei deren unterhaltsamen Lektüre man sich die Augen reibt. Das mit der Korruption und dem mangelnden Gemeinsinn war also schon vor über hundert Jahren weit verbreitet?

Bis heute funktioniert das Spiel ja so: Ein Familienoberhaupt geht auf dem Land zu einem Politiker und verspricht ihm für nächste Wahl die Stimmen seines gesamten Clans, sagen wir, vierzig Kreuze an der richtigen Stelle. Dafür fordert er zwei kleine Gegengefallen, nämlich die Verbeamtung seines (leider, leider) faulen Schwiegersohnes und eine Stelle für eine allein erziehende Nichte (was soll das arme Ding bloß machen?). Der Politiker schweigt väterlich. Dann sagt er den Satz aller Mafiasätze: „Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Vor allem wegen dieser Praxis ist der griechische Staatsapparat so aufgebläht.

Emmanouil Roidis aber, der 1836 auf der Insel Syros Geborene, der in Genua Aufgewachsene, in Ägypten, Rumänien, Berlin, aber hauptsächlich in Athen gelebt habende vielsprachige Analytiker, schrieb schon 1875: „Anderswo entstehen Parteien, weil Menschen mit den Meinungen anderer nicht übereinstimmen, jeder möchte etwas anderes. In Griechenland ist genau das Gegenteil der Fall: Was Parteien entstehen lässt, ist die wunderbare Übereinstimmung, mit der sie alle dasselbe suchen: sich durchzufuttern auf Kosten des Staates.“

Außerdem schrieb er in dem Band Der Ehemann erfährt’s zuletzt über Hinterhältigkeiten auf einem Hühnerhof oder in einer Taverne. Und eine sehr schöne Geschichte über einen Mann vom Land, der sich wie alle anderen bei einem korrupten Politiker Vorteile verschaffen wollte. Er verkaufte sein Hab und Gut und ging nach Athen. Statt gefördert und versorgt zu werden, lässt ihn der Politiker aber fallen, so dass sich unser Tor schließlich als Totengräber verdingen muss. Tilman Spengler, der das Nachwort verfasst hat, hält Roidis gleich für einen griechischen Montaigne. Am Donnerstag, den 24. 6., stellt er um 20 Uhr Buch und Autor in der Griechischen Kulturstiftung vor (Wittenbergplatz 3 a).

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