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SCHREIB Waren: Knochen splittern, Blut spritzt

Steffen Richter begreift die Faszination der Gewalt

„Gewalt! Gewalt!“, ruft Emilia Galotti, „wer kann der Gewalt nicht trotzen?“ Kurz darauf wird ihr Vater sie mit einem Dolch „durchstechen“, wie es bei Lessing heißt. Gewalt, da besteht Einigkeit in Europa, ist unakzeptabel, unzivilisiert und das Schlimmste überhaupt. Trotzdem durchzieht sie unsere Kultur, von Kain und Abel bis zu Eichingers RAF-Film. Sie scheint zu uns zu gehören.

Studieren kann man dies zum Beispiel in Italien, wo es – jenseits von Krawallen in Fußballstadien und Parlamenten – eine Tradition der Gewalt gibt, die auf viele Namen hört: Mafia, Camorra oder ’Ndrangheta. Einer der interessantesten Beiträge zum Thema stammt von Massimo Carlotto und heißt „Die dunkle Unermesslichkeit des Todes“ (Tropen-Verlag). Bei Carlotto wird ein Mann, der bei einem Überfall zwei Geiseln erschossen hat, zu lebenslanger Haft verurteilt. Als er an Krebs erkrankt, stellt er ein Gnadengesuch. Nun kommt eine überraschende Dynamik zwischen Täter und Angehörigen der Opfer in Gang. Dieses verstörende Buch über Verzeihen und Gerechtigkeit kann man am 18. 10. (21 Uhr) im Roten Salon der Volksbühne kennenlernen (Rosa-Luxemburg-Platz).

Um politisch motivierte Gewalt geht es im wilden Debütroman des Türken Murat Uyurkulak. Darin fährt ein alter linker Kämpfer mit dem Zug von Istanbul nach Diyarbakir, und die Reise wird zum Panorama der türkischen Geschichte seit den fünfziger Jahren – inklusive dreier Militärputsche. „Zorn“ heißt das Buch (Unionsverlag), das Uyurkulak am 20. 10. (19 Uhr 30) beim VIA (Verbund für Integrative Aufgaben, Schönhauser Allee 175) vorstellt. Man kann nur hoffen, dass nicht wahr ist, was er in Gesprächen mit Istanbuler Taxifahrern gehört haben will: „dass sie alle davon träumten, die Parlamentarier umzubringen“. Das wäre nicht gut für den türkischen EU-Beitritt. Denn Gewalt ist in Europa unakzeptabel – so jedenfalls hätten wir es gern.

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