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SCHREIB Waren: Lost in Translation

Steffen Richter hat Mitleid mit unterbezahlten Sprachmittlern

Wenn es um wirre Grenzziehungen geht, ist man als Deutscher ja einiges gewohnt. Im Jahre 1494 aber setzte Papst Alexander VI. den Vertrag von Tordesillas ins Werk, der selbst mauererprobte Berliner verblüfft hätte: Das Kirchenoberhaupt, traditionell „Verwalter“ aller unentdeckten Länder, halbierte mal eben den Globus. Eine schnurgerade Linie sollte von einem Pol zum anderen verlaufen. Was westlich davon lag, gehörte Spanien, die östliche Sphäre Portugal. Nun, die Portugiesen haben nachverhandelt und erreicht, dass ihnen ein erklecklicher Teil des gerade entdeckten Südamerika zufiel. So kommt es, dass Brasilien heute Portugiesisch spricht, der Rest des Subkontinents aber Spanisch.

Nun ist brasilianisches und portugiesisches Portugiesisch nicht Jacke wie Hose. Die Unterschiede kann der Literaturwissenschaftler Berthold Zilly erklären, einer der größten deutschen Brasilien-Experten. Auf dem Podium des Literarischen Colloquiums sitzt er als Übersetzer von Büchern wie Raduan Nassars „Das Brot des Patriarchen“ oder Euclides da Cunhas „Krieg im Sertão“. Neben ihm wird seine portugiesische Kollegin Maria Antonia Amarante, Übersetzerin von Musil und Adorno, Platz nehmen. Das Thema der Veranstaltung im Rahmen der Deutsch-Portugiesischen Übersetzerwerkstatt lautet: „Soll sie schön sein oder treu?“ (15.8., 20 Uhr, Am Sandwerder 5, Zehlendorf).

Nehmen wir Proust: Seinen Buchtitel „À l’ombre des jeunes filles en fleurs“ übersetzt Eva Rechel-Mertens mit „Im Schatten junger Mädchenblüte“. Das ist zweifellos schön, treu aber wäre: Im Schatten blühender junger Mädchen – was nach unschönem Blödsinn klingt. Kurzum: Der Job ist ebenso anspruchsvoll wie schlecht bezahlt. Genau darum ging es beim „Übersetzerstreit“, der im Frühjahr durch die Feuilletons tobte. Verlage und Übersetzer rangen um einen Modus, der den gesetzlichen Vorgaben nach „angemessener Vergütung“ gerecht wird. Es ging um ein Verleger-Angebot („Münchener Modell“), das die Übersetzer nur ablehnen konnten („Berliner Erklärung“). Es ging um Verleger, die Brutto und Netto verwechselten, und um beschämend schlecht informierte Journalisten. Momentan wird mit Sicherheit im Hintergrund an Lösungen gearbeitet. Fest steht, dass beide Seiten aufeinander angewiesen sind – und immer waren. Sonst könnten wir – um nur an den portugiesischen Sprachraum zu denken – die „Lusiaden“ des Luís Vaz de Camões nicht auf Deutsch lesen und auch nicht Pessoas „Buch der Unruhe“. Bitter wäre das.

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