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SCHREIB Waren: Von hüben nach drüben

Steffen Richter weiß, wie man Schwellenängste überwindet

Die Charlottenburger Autorenbuchhandlung ist ein feiner Laden. Vielleicht ist sie sogar der Inbegriff einer Buchhandlung: Literatur bis unter die Decke, kompetenteste Beratung. Allerdings wirkt das Geschäft in der Carmerstraße 10 neben all den lustig-bunten Buchkaufhäusern vielleicht ein bisschen zu ehrfurchtgebietend. Alles atmet hier seriöse Höchstkultur. Das einzige „Potter“-Exemplar muss man suchen, Non-Book-Artikel gibt es nicht. Hier spaziert man nicht einfach hinein, um sich den neuen Follett zu holen. Der Buchhandel umschreibt diesen Umstand mit dem Wort „Schwellenangst“.

Nun will man das Problem beheben, anstatt das 30 Jahre alte Projekt sanft entschlummern zu lassen. Die Gründer Thomas Kühne und Helma von Kieseritzky haben eine Nachfolgelösung gefunden, die gleichzeitig ein Generationswechsel ist: Joachim Fürst und Marc Iven, bereits Eigentümer der Buchhandlung in der Akademie der Künste, werden die neuen Inhaber. Sie wollen das außergewöhnliche Konzept – eine Buchhandlung, zu deren Gesellschaftern die Autoren selbst zählen – weiterführen und zugleich öffnen. Das heißt: „Schwellenangst“ abbauen. Beispielsweise mit einem frischen Veranstaltungsbetrieb. Der beginnt am 17. 3. (20 Uhr) mit dem Chilenen Jorge Edwards. Der war lange Pablo Nerudas Privatsekretär und dann Diplomat unter Salvador Allende. Nachdem vor zwei Jahren sein Anti-Castro-Buch „Persona non grata“ endlich auch bei uns erschien, erzählt er in seinem neuen Roman die Geschichte eines Pinochet-Flüchtlings. Der kommt erst auf abenteuerlichen Wegen nach Ost-Berlin, reist aber dann – möglicherweise als Agent – mit einem Helikopter (!) zurück nach Chile. Das ist längst nicht alles, heißt das Buch doch anspielungsreich Faustino (Wagenbach) – was auf eine Miniaturausgabe einer berühmten deutschen Grüblerfigur hindeutet.

Ein Fremdwort scheint „Schwellenangst“ für die türkische Schriftstellerin Asli Erdogan zu sein. Erst arbeitete die studierte Physikerin und Informatikerin im Schweizer Kernforschungszentrum CERN, dann ging sie nach Brasilien, wo sie den Roman Die Stadt mit der roten Pelerine (Unionsverlag) schrieb. Wer von einer durch die Favelas vagabundierenden Türkin erzählt und sein Buch mit Motti von Celan, Nietzsche und Derrida pflastert, ist in der Reihe „Grenzgänge“ des Vereins für Integrative Angebote sicher gut aufgehoben (12. 3., 19 Uhr 30, Schönhauser Allee 175, Prenzlauer Berg).

Um ganz andere Schwellen geht es bei Silvia Bovenschen, nämlich die vom Vorhanden- zum Nichtvorhandensein. Bovenschen, die erst kürzlich luzide über das „Älter werden“ schrieb, verhandelt nun abgetauchte Personen, aussterbende Tierarten oder den Albtraum jedes Journalisten: Der Laptop mit allen Texten ist weg. In den Museen Dahlem (Lansstr. 8) geht es heute (19 Uhr 30) um alles, was Verschwunden ist (S. Fischer). Natürlich dürfte dabei auch vom endgültigen Verschwinden die Rede sein, der ultimativen Schwelle, von der es kein Zurück gibt. Entscheidend dürfte auch hier sein, wie man mit der „Schwellenangst“ umgeht.

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