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SCHREIB Waren: Kofferpacken mit System

Erst findet sich das Thema in den Ratgeberregalen, dann macht sich das Privatfernsehen drüber her und zeigt in Nachmittagsreportagen, wie selbst ernannte Feng-Shui-Berater Chaosopfern durch Radikalentrümpelung Ordnung und also Überblick ins Leben zurückbefehlen. Schließlich schreibt Jens Sparschuh ein schrulliges Buch über deutsche Verhältnisse.

Erst findet sich das Thema in den Ratgeberregalen, dann macht sich das Privatfernsehen drüber her und zeigt in Nachmittagsreportagen, wie selbst ernannte Feng-Shui-Berater Chaosopfern durch Radikalentrümpelung Ordnung und also Überblick ins Leben zurückbefehlen. Schließlich schreibt Jens Sparschuh ein schrulliges Buch über deutsche Verhältnisse. „Im Kasten“ heißt sein neuer Roman und handelt von dem zwangsneurotischen Hannes Felix, der bei der Firma Neue Optimierte Auslagerungs- und Haushaltsordnung (kurz: Noah) arbeitet, unter der Hand despektierlich Norberts olle Abfallhalde genannt. Noah erfüllt den sehr zeitgemäßen Zweck, Gegenstände zu verwahren, die Menschen nicht mehr brauchen, die sie aber nicht wegschmeißen können, ist also eine Art gespenstisches Zwischenreich der Dinge. Es liegt auf der Hand: Jemand, der so besessen von Ordnung und Ordnungssystemen ist, bekommt früher oder später Probleme im Zwischenmenschlichen. Als seine Frau ihn verlassen will, kann Hannes Felix das Elend ihres Kofferpackens nicht mitansehen und empfiehlt ihr eine Inventarliste, was die Trennung sehr schnell sehr endgültig werden lässt (Buchhändlerkeller, Donnerstag, 20.30 Uhr, Carmerstraße 1).

Andererseits: Welche Romane handeln eigentlich nicht vom Aufräumen? Vom Entrümpeln von familiären Kellerräumen, dem Durchfegen des Unbewussten oder der Entwirrung verknoteter Personenkonstellationen über das Erzählen. Der Drehbuchguru Robert McKee schreibt in „Story“: Jede Geschichte beginnt mit einem Ungleichgewicht und schafft dann Ordnung.

In ihrem raffiniert konstruierten ersten Roman „Bugatti taucht auf“ versucht die Theaterautorin Dea Loher über zwei Handlungskreise Licht in den gewaltsamen Tod eines jungen Italieners im Jahr 2008 zu bringen. Je genauer der Erzähler die Tat rekonstruiert, desto unschärfer und verwirrender das Bild, das sich ergibt. Ein Freund der Opferfamilie geht einen anderen Weg. Er erinnert sich eines Bugatti Typ 22 Brescia, der seit 75 Jahren am Grund des Lago Maggiore liegt. Was die beiden Ebenen miteinander zu tun haben, kann man wohl am Freitag auf dem Saisonauftakt des Literarischen Colloquium Berlin erfahren, wo neben Loher auch noch Christopher Kloeble, Ulla Lenze, Gabriele Riedle und André Kubiczek auftreten. Kubiczeks Roman mit dem schönen Titel „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ erzählt davon, wie eine laotische Prinzessin sich in der bereits dem Untergang geweihten DDR in einen Arbeitersohn verliebt (20 Uhr, Am Sandwerder 5).

Auf Ordnungssuche ist auch die Hauptfigur in Wilhelm Genazinos letztem Roman „Wenn wir Tiere wären“, ein Architekt, dessen Leben langsam aus den Fugen gerät. Im Gegensatz zu Jens Sparschuhs Tor, kämpft Genazinos Held aber nicht gegen das Chaos überflüssiger Dinge, er ist vielmehr auf der „Flucht vor zu vielen überflüssigen Erlebnissen“. Er sehnt sich nach der Gnade der Ereignislosigkeit. Theoretisch zumindest. Dumm nur, dass ihm sein ganz praktisches Begehren dabei immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Ehe er papp sagen kann, liegt er schon wieder in den Armen einer Frau. Mit jedem neuen Buch treibt Wilhelm Genazino die Verstörung seiner Figuren einen Schritt weiter. Dieses Mal lässt er die Hauptfigur erst im Gefängnis so etwas wie Glück finden (Dienstag, 20 Uhr im Literaturforum im Brechthaus, Chausseestraße 125).

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