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SCHREIB Waren: Poesie der Verweigerung

Steffen Richter fragt nach der Literatenszene von Prenzlauer Berg

Nun könnte bald Schluss sein. Zumindest bis zum 30. Mauerfall-Jubiläum wäre Enthaltsamkeit wünschenswert. Keine Bilder mehr von der Pressekonferenz mit Günter Schabowski, keine vom Ansturm auf den Grenzübergang Bornholmer Straße und keine von der Großdemo auf dem Alexanderplatz. Und bitte: vorläufig keine Anekdoten mehr, in denen jemand beim Bügeln in Castrop-Rauxel vom Mauerfall erfährt.

Nicht dass diese Erinnerungen unwichtig wären. Nur hat die massenhafte Verbreitung weniger Szenen den Herbst 1989 okkupiert. Was nicht zu den kanonisch gewordenen Meinungen und Gefühlslagen gehört, fällt dabei unter den Tisch. Etwa das große Erstaunen darüber, dass in diesem langweiligen Land überhaupt etwas passierte. Oder die Skepsis angesichts der rasenden Entwicklung. Vielleicht auch Scham, einer Ideologie auf den Leim gegangen zu sein. Unter den Tisch gefallen sind auch Autoren, von denen man in den „Wende“-Wochen viel erwartete. Die Dichter und Maler vom Prenzlauer Berg mit ihren halbgeheimen Treffen, ihrer Zertrümmerung aller offiziellen Sprachregelungen. Jan Faktor, einer von ihnen, hat schon vor Jahren aufgeschrieben, warum aus ihnen „nichts geworden ist“: weil sie Verweigerung auch im vereinten Deutschland für eine opportune Haltung hielten und sich dabei regelrecht selbst sabotierten.

Und natürlich war die ganze Szene wegen der Stasi-Zuträger Sascha Anderson und Rainer Schedlinski in Verruf geraten. Unter dem nunmehr glattsanierten Prenzlauer Berg rumort noch einiges, was nicht in Schubladen passt. Wenn Bert Papenfuß als einer der wichtigsten Lyriker nun mit dem Regisseur Matthias Aberle einen Dokumentarfilm drehte, darf man sich auf Grau- und Zwischentöne freuen. Poesie des Untergrunds lässt Autoren wie Elke Erb, Bernd Wagner oder Sascha Anderson, die Malerin Cornelia Schleime und Punkmusiker aus dem Umfeld der Szene zu Wort kommen. Premiere ist am 11.11. (20 Uhr) im Prater (Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg).

Abgesehen von den bewussten Verweigerern ist Literatur aus dem Osten jedoch eine Erfolgsgeschichte. Ostdeutsche Autoren räumen Preise ab und werden für ihre wirklichkeitsgesättigten Bücher gelobt. Der Osten ist unerschöpfliches Material. Der Westen mit seinen vermeintlich blassen Erfahrungen und seinen Sprachzweifeln guckt in die Röhre. Westautoren muss das mächtig auf den Magen schlagen. Und was sagen die, die zu jung sind, um eine „Wende“ verarbeiten zu dürfen? Ob die Gegenwart nicht doch etwas zu bieten hat, wird man am Wochenende beim 17. Open Mike sehen, dem wichtigsten Nachwuchswettbewerb der Liga U35 in der Wabe (14.11., ab 14 Uhr, 15.11., ab 12 Uhr, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg).

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