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SCHREIB Waren: Unruhig sitzen wir

Er wechselte „das Land häufiger als die Schuhe“, wie Max Frisch über Bertolt Brecht sagte. Am 28.

Er wechselte „das Land häufiger als die Schuhe“, wie Max Frisch über Bertolt Brecht sagte. Am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, flüchtete Brecht nach Prag. Von Prag ging er in die Schweiz, zog dann weiter nach Paris. Fünf Jahre lebte er danach in einem abgelegenen Fischerhaus in Dänemark. „Die Post kommt zweimal hin / Wo die Briefe willkommen wären“, heißt es über seine „Zufluchtsstätte“. Statt der Briefe kamen die Nazis, besetzten Dänemark. Brecht ging nach Schweden, dann nach Finnland, emigrierte schließlich nach Amerika, um in Hollywood, der „Weltrauschgiftzentrale“, mehr schlecht als recht sein Geld beim Film zu verdienen.

Mit jeder Station verstärkte sich das Gefühl von Abgeschiedenheit. In einem Brief schrieb er: „... die geistige isolierung ist ungeheuer, im vergleich zu hollywood war skovsbostrand (in Dänemark) ein weltzentrum.“ Ohnehin richtete er sich nirgends ein, „schlug keine Nägel in die Wand“, hoffte immer auf die schnelle Rückkehr. In dem Gedicht „Über die Bezeichnung Emigrant“ schrieb er: „... Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns aufnahm. Unruhig sitzen wir so, möglichst nah an den Grenzen / Warten des Tags der Rückkehr, jede kleinste Veränderung / Jenseits der Grenzen beobachtend, jeden Ankömmling / Eifrig befragend ... Wir hören die Schreie/ Aus ihren Lagern bis hierher ...“ Auch wenn Brechts Blick immer gen Deutschland gerichtet blieb und er seinen Gastländern quasi den Rücken zuwandte, so war und ist sein Einfluss in diesen Ländern bis heute groß. Die Brecht-Tage 2012 im Literaturforum im Brechthaus (6.–10. Februar) fragen nach diesem Einfluss und haben Künstler und Theatermacher aus Brechts Exil-Länder eingeladen. Am Montag, dem 6.2., diskutieren der schwedische Regisseur Staffan Valdemar Holm, ab dieser Spielzeit Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, und Jörgen Dahlqvist vom schwedischen Theaterkollektiv Teatr Weimar (Chausseestraße 125, 20 Uhr).

Am Donnerstag, dem 2. Februar, eröffnet die große Mario-Adorf-Ausstellung in der Akademie der Künste, der Adorf vor einigen Jahren sein Archiv vermacht hat. Die Schau dokumentiert mit Briefen, Fotos, Filmausschnitten und Rollenbüchern Adorfs Karriere von „Nachts, wenn der Teufel kam“ (1957) bis zum „Großen Bellheim“ (1992) und zeichnet seine Rolle vom Bösewicht zum durchtriebengutmütigen Paten der Nation nach. Um 19 Uhr signiert Adorf im Kulturkaufhaus Dussmann die „Bilder seines Lebens“ (Friedrichstraße 90).

Was die Romanfigur Magnus Taue aus Thomas Melles gefeiertem Debütroman „Sickster“ wohl für ein Gefühl beschleicht, wenn sie einen Blick auf die Bilder ihres Lebens wirft? Ein ziemlich mulmiges wahrscheinlich. Als Kind einer Hippie-Mutter für ein Genie gehalten, kommt der ehemalige Internatsschüler zur Selbstverwirklichung von Bonn nach Berlin. Doch statt des erfolgreichen coolen Künstlerlebens erwartet ihn nur der verhasste Sklavenjob als Werbetexter eines Ölkonzerns und das Hamsterrad des Selbstzweifels, das er mit Alkohol, aus dem Ruder laufenden Selbstgesprächen und rauschenden Clubnächten vergeblich zum Stillstand bringen möchte. Auf einer seiner Touren trifft er zufällig auf Thorsten, einen ehemaligen Klassenkameraden, der es inzwischen zum Manager des besagten Konzerns geschafft hat und, im Gegensatz zu Magnus, ganz mit seinem Businessjargon verwachsen scheint. Ein „umwerfendes Requiem auf einen pervertierten Kapitalismus“, schrieb ein begeisterter Kritiker über diesen Roman, in dem der Weg von der Kellerbar zur Psychiatrie nur ein sehr kurzer ist (Donnerstag, 2.2., 20.30 Uhr im Buchhändlerkeller, Carmerstraße 1).

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