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Schriftstellerin Dacia Maraini.

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Schriftstellerin Dacia Maraini im Interview: „Italiens Macho-Kultur herrscht weiter“

Italienische Verhältnisse: Im Tagesspiegel-Interview spricht die Schriftstellerin Dacia Maraini über Frauen – und ihren Freund Pier Paolo Pasolini.

Dacia Maraini, 1936 in Florenz geboren, gehört zu den wichtigsten Autorinnen Italiens. Sie schrieb Erzählungen, Drehbücher, politische Essays. Ihre Romane „Zeit des Unbehagens“, „Kinder der Dunkelheit“, „Die stumme Herzogin“, „Der Zug in die jüngste Nacht“ sind auch auf Deutsch erschienen. Dacia Maraini war in den 70er Jahren eine Protagonistin der Frauenbewegung. Sie hat lange mit dem Romancier Alberto Moravia zusammengelebt.

In Berlin war sie jetzt anlässlich der Pasolini-Ausstellung im Gropius-Bau, die noch bis 5. Januar läuft.

Frau Maraini, Sie waren nicht nur in Italiens Frauenbewegung engagiert, auch Ihre Bücher haben immer wieder weibliche Helden. War das der Versuch eines Ausgleichs zu Zeiten, als die Literaturproduktion noch männlicher war als heute?
Das war sicher nicht mein Ziel. Aber als Frau identifiziere ich mich einfach stärker mit weiblichen Figuren – aus dem gleichen Grund, aus dem Männer das mit männlichen tun. Sehen Sie sich die Literatur von Männern an. Die Frauen, die da eine Rolle spielen, Anna Karenina, Madame Bovary, können sie an den Fingern einer Hand abzählen.

Die Themen, die Sie seinerzeit als eine der Ersten literarisch angingen, Vergewaltigung, Frauenverachtung – halten Sie die weiter für literaturfähig?
Leider ja, denn sie sind es ja in der Wirklichkeit, von der die Literatur lebt und deren Beobachterin sie ist. Diese Wirklichkeit ist einigermaßen dramatisch. Wir haben in Italien noch nicht lange den Blick auf das Phänomen des Frauenmords gerichtet, häusliche Gewalt, der die Frauen zum Opfer fallen, und zwar gerade die selbstständigen, die sich nicht unterordnen wollen.

Gewalt gegen Frauen gerade als Folge ihrer Emanzipation?
Ja. Etwas Zweites kommt hinzu: Wir können uns nicht in unserem kleinen europäischen Garten einschließen. Länder, in denen Frauen nicht in der Öffentlichkeit auftreten dürfen, nicht die Männer heiraten dürfen, die sie heiraten wollen, ja nicht einmal Auto fahren dürfen, sind schließlich nur wenige Kilometer von uns entfernt. Und die Kulturen mischen sich mit hoher Geschwindigkeit. In Italien machte erst kürzlich der Fall eines Mädchens Schlagzeilen, das von seinen Brüdern und dem Vater gemeinsam ermordet wurde, nur weil sie Jeans trug und einen Freund hatte.

Sie haben in Berlin von Erlebnissen mit Maria Callas berichtet, während Dreharbeiten mit Ihrem gemeinsamen Freund Pier Paolo Pasolini, dem im Gropius-Bau jetzt eine große Ausstellung gewidmet ist. Auf der Bühne die Primadonna assoluta, im Leben ein unsicherer, schüchterner, prüder Mensch, eine Frau, die sich vorm Zubettgehen umständlich auszog, weil Sie sich nicht einmal Ihnen, einer Frau, zeigen wollte. Typisch Frau – und heute noch denkbar?
Heute natürlich weniger, es gab natürlich Fortschritte seit den 60er, 70er Jahren. Aber es ist wichtig zu wissen, dass solche Widersprüche nichts Individuelles sind, sondern kulturell vorgeschrieben, Und diese Kultur gibt es noch. Auf dem Papier ist auch mein Land eines der Gleichberechtigung. In der Wirklichkeit herrscht weiterhin eine Macho-Kultur.

Die Sie einmal als die eigentliche Feindin beschrieben haben.
Weil ich nicht an den Krieg der Geschlechter glaube, es sind nicht die Männer. Frauen und Männer werden gleich geboren, erst unsere Kultur macht sie ungleich. In Werbung, Fernsehen, Comics werden ihnen bis heute die Rollen des Jägers und der Beute zugeschrieben. Ein großes römisches Spielwarengeschäft, in dem ich kürzlich ein Geschenk kaufen wollte, sortiert sich noch immer in Mädchen- und Jungenabteilung: hier die Küchen, Puppen, Kinderwagen, dort die Eisenbahnen, Flugzeuge, Gewehre.

Und auch Frauen sind Teil dieser Männerkultur, haben Sie einmal gesagt.
Leider ja. Während eines Vergewaltigungsprozesses in Italien sah man erst kürzlich vor dem Gerichtsgebäude die Mütter der fünf Täter das 11-jährige Kind beschimpfen, das ihr Opfer geworden war. Sie sei eine Nutte und selbst schuld, weil sie kurze Röcke trage.

Ein früherer Ministerpräsident, dessen öffentlich zur Schau gestellter Machismo im Verdacht steht, die Kultur der Frauenfeindschaft mitgeprägt zu haben, scheint inzwischen in der Versenkung verschwunden. Was ändert sich dadurch?
Für unsere Kultur wird es Zeit brauchen. Wir sind schließlich tief gesunken. Ich bin aber optimistisch, die Umfragewerte für Berlusconi sind mehr als schwach, das zeigt, dass Italien den Wechsel will.

Kommt er denn? Dem neuen Regierungschef Matteo Renzi wird unter anderem vorgeworfen, er setze exakt den Personenkult seines Vorgängers in Szene.
Ich habe für Renzi keine großen Sympathien, aber auf die Stagnation, die Italien beherrscht, wirkt er wie ein großer Stein, den man in einen Tümpel wirft. Ich kann die Wut vieler junger Leute über eine politische Klasse verstehen, die seit Jahrzehnten aus den ewig gleichen Köpfen besteht und die nichts angepackt hat. Renzi muss keine alten Netze versorgen, er ist sauber. Sein Vorgänger fälschte Bilanzen, kaufte Richter, Stimmen, Abgeordnete. Diese Art Korruption regiert uns nicht mehr.

Renzi regiert mit parlamentarischer Unterstützung von Berlusconis Leuten.
Aber nicht weil er das will, sondern weil er keine andere Unterstützung hat. Seine natürliche Verbündete wäre Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung gewesen – die ich übrigens unterstützt habe. Doch die haben das glatt abgelehnt und beschränken sich darauf, alles zu kritisieren, ohne etwas zu tun. Wer ein Abgeordnetengehalt vom Staat bezieht, hat aber die Pflicht, dafür politisch zu arbeiten.

Sie sind nach Berlin gekommen, um über Pasolini zu sprechen, der auch fast 40 Jahre nach seinem Tod nach wie vor als der Intellektuelle Italiens im 20. Jahrhundert gilt. Welchen Einfluss hatte er auf Sie und Ihre Arbeit?
Ich würde nicht nur von Einfluss sprechen, sondern von Freundschaft. Als Freund aber war er Teil eines größeren Kreises, zu dem auch Alberto Moravia, Elsa Morante, Leonardo Sciascia und andere gehörten. Zwischen uns allen gab es so etwas wie eine Osmose, wir haben über Politik und Kunst diskutiert, die Ideen schweiften. Ich glaube, wir haben uns gegenseitig beeinflusst.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

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