zum Hauptinhalt

Kultur: Schriftstellerin Michalopoulou: Unser Egotrip ist zu Ende

Amanda Michalopoulou, Jahrgang 1966, ist die herausragende Autorin der jungen griechischen Literatur. 1996 ihre Kurzgeschichten "Draußen ist das Leben bunt" undSie arbeitet als Kolumnistin für die griechische Tageszeitung "Kathimerini".

Amanda Michalopoulou, Jahrgang 1966, ist die herausragende Autorin der jungen griechischen Literatur. 1996 ihre Kurzgeschichten "Draußen ist das Leben bunt" undSie arbeitet als Kolumnistin für die griechische Tageszeitung "Kathimerini". Für ihren ersten Roman "Der Oktopusgarten" erhielt sie den wichtigsten griechischen Literaturpreis. Auf deutsch erschien er 1998 im Rotbuch-Verlag, der nun auch ihren Kafka-Roman "So ist das Leben" veröffentlichte. Michalopoulou ist zurzeit Stipendiatin auf Schloss Solitude. Heute liest sie im "Amphitheatron" auf der Buchmesse.

Griechenland, das bedeutet für uns Deutsche vor allem Urlaub und Antike, also Sonne und Ruinen. Die Lesungen griechischer Autoren auf der Buchmesse finden in einem "Amphiteatron" statt, es gibt griechisches Essen und griechische Musik. Wie entkommen Sie der Folklore-Falle?

Griechenland liegt in der Mitte zwischen West und Ost. Wir wissen nicht genau, wohin wir gehören. Deshalb betonen wir unseren östlichen Anteil, unsere Balkan-Identität, wenn wir mit Menschen aus dem Westen sprechen. Bei Gesprächspartnern aus dem Osten betonen wir dagegen unsere westliche Seite, die Seite des Fortschritts. Und in dem Moment, in dem wir als Europäer anerkannt sind, werden wir nostalgisch und besinnen uns auf unsere östliche Identität. Das ist das griechische Dilemma.

Hat der Krieg in Jugoslawien dieses Dilemma verstärkt?

Ein griechischer Freund von mir empfand es als große Erleichterung, dass er während des Krieges in Deutschland lebte. Hier dachte nicht jeder, er sei auf Milosevics Seite. In Griechenland war es klar, dass man für die christlich-orthodoxen Serben Partei ergreifen musste. Politische Argumente zählten nicht, nur religiös-ethnische Argumente.

Wann haben Sie diese Ost-West-Identität zum ersten Mal bewusst erlebt?

Meine Französisch-Lehrerin ging mit uns Schülern auf einen Berg und zeigte uns Athen von oben. Seht ihr, sagte sie, Athen ist die einzige Metropole, die ohne einen Plan errichtet worden ist. Als Kind hat mich das sehr gekränkt. Ich wollte weg aus diesem planlos errichteten Land und in Städte fahren, die auf ordentliche Weise entstanden sind. Jahrelang bin ich wie eine Verrückte gereist, und immer, wenn ich nach Athen zurückkam, fühlte ich mich ein Stück zivilisierter. Später, mit Mitte Zwanzig, fing ich an, mich für genau dieses Identitäts-Dilemma zu interessieren. Also zog ich von dem Vorort Athens, wo ich aufgewachsen war, ins Zentrum und stellte überrascht fest, dass ich die Stadt von ganzem Herzen liebe, eben weil sie so chaotisch ist.

"So ist das Leben" ist Ihr Reise-Roman. Auf der Suche nach einer verlorenen Liebe reist die Heldin von Athen über Prag nach München, Genf und Madeira und geht dabei selbst ein wenig verloren. Der Roman handelt außerdem von Frank Kafka als deutsch-tchechisch-jüdischem Schriftsteller, und es gibt eine Autorin mit griechisch-tchechisch-deutscher Herkunft.

Man hat mich deshalb in Griechenland beschimpft. Das sei viel zu kosmopolitisch. Es gibt eine typisch griechische Angst vor Identitätsverlust. Eine ihrer Ursachen ist die Verspätung, mit der der Wohlstand zu uns kam. Wir gehörten ja lange zu jenen armen Südeuropäern, die als Gastarbeiter in den Norden gingen. Erst in den 90er Jahren kamen Albaner, Russen, Polen und Philippinen nach Griechenland, und plötzlich gab es auch bei uns Ausländerfeindlichkeit. In "So ist das Leben" erzähle ich von dieser Angst vor dem Anderen und dem Versuch, trotz aller Fremdheit mit einander zu kommunizieren.

Wobei es ständig Kommunikationsprobleme gibt. Die griechische Ich-Erzählerin spricht mit ihrem tchechischen Geliebten gebrochen deutsch, auf ihrer Reise kommt es ständig zu Missverständnissen. Gleichzeitig heißt es an einer Stelle, man könne sich in fremden Sprachen nicht streiten.

Aber dann wird es schnell sehr dramatisch, weil wir unserer Nuancen beraubt sind, unserer "Vielleichts". Dieses "Vielleicht" macht uns zivilisierter. Wenn das entfällt, sind wir auf eine Kindersprache reduziert. Wir haben uns, vor allem wenn wir aus kleinen Sprachgemeinschaften kommen, dieses oberflächliche Englisch angewöhnt. Zuhause aber ist jeder nur in seiner eigenen Sprache, nur sie enthält auch unsere Landschaft, unser Temperament, unsere Idiosynkrasien.

Macht Sie das misstrauisch gegenüber den Übersetzungen Ihrer Romane?

Oh ja. Oft frage ich mich, ob etwa meine Sprachspiele übersetzt überhaupt verstanden werden. Wenn Deutsche mir entgegenkommen wollen, sprechen sie mich auf Altgriechisch an. Das ist lustig. Außerdem bewundern sie in mir die Antike und kennen Kreta aus dem Urlaub. Ich muss mich als Schriftstellerin also mit dieser historischen Last und dem Nichtwissen über unsere Gegenwart herumschlagen. Es ist wie bei Kindern berühmter Eltern, aus deren Schatten man nur schwer heraustreten kann.

Welche Folgen hat das Erbe von Aischylos und Sophokles für Ihr Schreiben?

Ich denke nicht daran; anders geht es nicht. Mit 16 baute ich mir ein eigenes literarisches Universum auf, mit Flaubert, Proust und anderen Dichtern. Ich hatte immer das Gefühl, mit den Schriftstellern zu sprechen. Als ich dann Italo Calvinos "Wenn ein Reisender in der Winternacht" las, war es wie eine Erleuchtung: Er spricht den Leser direkt an, und auf diese Weise sprach endlich auch jemand zu mir. Es war eine richtige Unterhaltung. Ebenso ging es mir mit Laurence Sterne. Diese Art zu schreiben hat mich sehr beeinflusst, auch ich spreche meinen Leser ja direkt an. Als ich Kafkas "Tagebücher" las, hat es mich seltsam berührt, dass er die Kommunikation oft unterbricht, als wolle er etwas sagen, könne es aber nicht. Das war für mich der eigentliche Kafka-Roman: der, den er nie geschrieben hat - über seine Ängste, seine Unfähigkeit, glücklich zu sein. In "Das Leben ist schön" wollte ich versuchen, dies an seiner Stelle den anderen mitzuteilen.

Wie fing das an mit dem Schreiben?

Als Kind hatte ich eine Milchtasse, auf deren Grund ein Junge mit einem Rucksack abgebildet war. Ich wusste, er ist dort versteckt und ich dachte mir aus, dass er böse auf seine Eltern ist und in den Wald geht. Als Jugendliche schrieb ich Kurzgeschichten, die alles andere als kurz waren, weil ich mindestens so schreiben wollte wie Proust. Dank eines Stipendiums hatte ich in Wiepersdorf zum ersten Mal Zeit zum rein literarischen Schreiben: Es ist kein Zufall, dass dies im Ausland geschah. Wenn ich schreibe, bin ich woanders. Das trifft für viele meiner Generation zu: Wir sind nicht mehr die Dichter im Elfenbeinturm. Die Fremde gibt mir die Freiheit, wie eine Schauspielerin andere Identitäten zu erfinden - und doch kann ich meiner griechischen Identität nicht entkommen. Diese Mischung ist ein idealer Nährboden für die Fantasie.

Wie bei dem Jungen in der Milchtasse. Das Leitmotiv des Reisens und der Selbstreflexion über das Schreiben und die Kommunikation mit dem Leser findet sich bei vielen jungen griechischen Autoren.

Das stimmt. Nicht, dass ich mit Kollegen wie Soti Triandafylou oder Ersi Sotiropoulos, die ebenfalls viel im Ausland leben, eine Gruppe bilde. Aber es gibt diese Themen, die uns verbinden - ebenso wie die Anschuldigung daheim in Griechenland, dass wir unseren Kosmopolitismus zur Schau stellen. Nach meinem dritten Roman, der im Frühjahr in Griechenland erschienen ist und nochmals die Probleme des Schreibens reflektiert, habe ich das für mich allerdings abgeschlossen. Es war offenbar ein notwendiger Befreiungsakt.

Dieser dritte Roman, "Sauwetter", thematisiert das Generationenproblem, den Unterschied zwischen den Thirtysomethings und den 68ern.

Die griechischen 68er rebellierten gegen die Junta. Es ist bei uns ähnlich wie in Deutschland: Wir Jüngeren mussten nicht für die Freiheit oder für unsere Rechte kämpfen, und genau das ist unser Problem. Wir gingen zur Universität, machten Karriere und meinten, uns dafür entschuldigen zu müssen. In "Sauwetter" sitzen beide Generationen wegen eines Sturms auf einer Insel fest und fangen an, sich zu streiten.

Ihre Schriftsteller-Generation gilt als unpolitisch.

Ich glaube, das ändert sich gerade. Mein nächster Roman erzählt von zwei Freundinnen in Verbindung mit den politischen Entwicklungen in Europa seit den siebziger Jahren. Ich werde von Kommunismus, Anarchismus und Parlamentarismus erzählen - und gleichzeitig von der Politik einer Frauenfreundschaft. Seit Seattle, erst recht seit dem 11. September wird meine Generation wieder politischer. Ich arbeite bei einer Künstlervereinigung mit, dem "Movement of Movements", das Ausstellungen und Aktionen zu Themen wie der Globalisierung organisiert. Unser Ego-Trip ist zu Ende.

Griechenland[das bedeutet für uns Deutsche v]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false