zum Hauptinhalt

Kultur: Schubert zum Gruß

Die Kammerakademie Potsdam nimmt in den legendären Lichterfelder Studios auf.

Der Typ mit den lustigen, bunt gestreiften Turnschuhen ist der Dirigent. Auch die Musiker tragen Freizeitkleidung, einige haben ihre Schuhe abgestreift. So locker die Truppe aussieht, die sich im großen Saal der Teldex-Studios versammelt hat, so konzentriert ist die Arbeitsatmosphäre. Die Kammerakademie Potsdam nimmt Franz Schuberts 6. Sinfonie auf. Für das Plattenlabel Sony. Es ist der zweite Teil einer geplanten Gesamteinspielung unter der Leitung ihres Chefdirigenten Antonello Manacorda, die erste Folge mit den Sinfonien 3 und 7 ist seit April auf dem Markt.

Wenn ein Orchester in Zeiten des schrumpfenden CD-Marktes Klassik-Kernrepertoire für ein bekanntes Label aufnehmen darf, und das nicht als Livemitschnitt, sondern als Studioproduktion unter Idealbedingungen, dann herrscht bei allen Beteiligten höchste Konzentration. Denn dann darf nichts schiefgehen. „In Takt 119 könnte das Horn noch deutlicher akzentuieren“, klingt jetzt eine markante Männerstimme durch die Lautsprecher, die rechts und links vom Dirigenten postiert sind. Sie gehört Christoph Franke, dem Tonmeister, der – unsichtbar für die Musiker – in seiner Regiekabine sitzt.

Nach jedem Take, also nach jedem musikalischen Abschnitt, den die Kammerakademie spielt, gibt er seine Kommentare aus dem Off ab, freundlich aber bestimmt. Hier findet er die Violinen „einen Tick zu brillant“, mit anderen Worten: zu hoch, dort wünscht er sich ein makellos sauberes Zusammenspiel von Bläser- und Streichgruppe. Christoph Franke ist der Boss bei dieser Aufnahme, dem sich auch Dirigent Antonello Manacorda unterordnet. Sein Ohr entscheidet, was geht und was wiederholt werden muss. Darum gehört es zu den Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Studiosession, dass der Maestro dem Tonmeister rückhaltlos vertraut.

Früher, erzählen die Musiker später, war es üblich, dass neben dem Dirigentenpult ein Telefon platziert war. Das „Mh, ja, mh, okay“ des künstlerischen Leiters war dann oft das Einzige, was das Orchester von den Kommentaren aus der Regiekabine mitbekam. Die Kommunikation per Lautsprecher erleichtert heute die Arbeit deutlich, weil sie mitdenkendes Musizieren aller möglich macht.

Schweißtreibend ist die Sache trotzdem. Seit fünf Stunden sitzen sie nun schon gemeinsam hier draußen in der Finckensteinallee. Es ist ein legendärer Ort, der zwischen Gründerzeitvillen versteckt im idyllischen Lichterfelde liegt: Über Jahrzehnte arbeiteten die Aufnahmeteams von Telefunken und später Teldec Classics an diesem Standort. In dem 550 Quadratmeter großen Saal haben Größen der Unterhaltungsmusik wie Hildegard Knef, Udo Lindenberg und Peter Maffay Alben aufgenommen, später konzentrierte man sich ganz auf Klassik. Dann aber fiel beim Warner-Konzern, der die Traditionsfirma Teldec geschluckt hatte, die Entscheidung, das Berliner Studio aufzugeben. 2002 erhielten die 15 Mitarbeiter ihre Kündigungen. Drei von ihnen beschlossen daraufhin, ihre Abfindungen zu nutzen, um den Komplex auf eigene Faust zu mieten. Unter dem Namen „Teldex“ sind Martin Sauer, Tobias Lehmann und Friedemann Engelbrecht zu erfolgreichen Unternehmern geworden. Aufnahmetermine in den mittlerweile modernisierten Räumen an der Finckensteinallee sind begehrt.

Die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker haben hier schon CDs produziert, ebenso Daniel Barenboim und René Jacobs. Für zwei Tage hat sich die Kammerakademie nun für die zweite Etappe ihres Schubert-Projekts eingemietet. Es soll eine klingende Visitenkarte für das 2001 gegründete Ensemble werden. Ausgerechnet in dem Moment, als Potsdam endlich einen modernen Konzertsaal bekommen sollte, wickelte die brandenburgische Landeshauptstadt ihr lokales Sinfonieorchester ab. Weil allerdings selbst den kulturfeindlichsten Abgeordneten in der Stadtverordnetenversammlung klar war, dass ein neuer 725-Plätze-Saal ohne Hausensemble ziemlich peinlich wirkt, engagierte man das Berliner „Ensemble Oriol“ und verstärkte es durch das lokale „Persius Ensemble“, eine Formation aus den Reihen der abgewickelten „Brandenburgischen Philharmonie“.

Als Kammerakademie Potsdam erarbeitete sich die neue Truppe schnell einen guten Ruf. Von 2002 bis 2006 lag die künstlerische Leitung in den Händen von Sergio Azzolini, bis 2010 trug dann der strenge Orchestererzieher Michael Sanderling den Cheftitel.

Sein Nachfolger Antonello Manacorda lässt den Musikern mehr Raum für individuelle Entfaltung. Das Dirigentenhandwerk hat er bei Claudio Abbado gelernt – und zwar spielend: als Konzertmeister des Mahler Chamber Orchestra, das Abbado regelmäßig leitet. Vor sieben Jahren jedoch wurde Manacorda dann seinem Namen untreu – er lässt sich mit „Hand an der Saite“ übersetzen – und wechselte von der Geige aufs Podium.

Die Kammerakademisten lieben den Stil des smarten Turiners, der beim Dirigieren viel mit der linken Ausdruckshand arbeitet. Auch bei der Aufnahmesitzung in Lichterfelde ist immer wieder von der „Energie“ die Rede, die Manacorda erzeugen, die er spüren will. Es ist ein kraftvoller, scharf akzentuierter, mitreißender Schubert-Klang, der dabei entsteht.

Alle Kraft geben, und das den ganzen Tag, das strengt an. Als die Lautsprecherstimme von Tonmeister Franke vorschlägt: „Wir haben noch eine Viertelstunde. Wollen wir den Kopfsatz ein letztes Mal komplett durchspielen?“, schütteln die meisten ihre Köpfe. Genug für heute! Schließlich sind morgen wieder sechs Aufnahmestunden angesetzt. Und am Tag darauf beginnen schon die Proben für „Carmen“, für die Wannsee-Freiluftproduktion von Volker Schlöndorff, bei der die Kammerakademie Potsdam als Begleitorchester engagiert ist – für 12 Aufführungen en suite, vom 16. August bis zum 2. September.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false