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Kultur: Schüler der Gottlosigkeit

Die ganze Gewalt des 20. Jahrhunderts am Beispiel einer Stadt: zum Tod des serbischen Schriftstellers Aleksandar Tišma aus Novi Sad

Von Gregor Dotzauer

Ob ihm selbst der Tod allmählich so vertraut sei, wie er immer in seinen Figuren gewütet habe – das wäre nicht nur eine unziemliche Frage an den freundlichen älteren Herrn gewesen, als der Aleksandar Tišma im letzten Mai als Gast der Akademie der Künste nach Berlin kam. Wer seine Romane und Erzählungen liest, begreift sehr schnell: Dieser Mann hat sich nie etwas geschenkt: nicht sich selbst, nicht seinen Charakteren, nicht dem Akt des Schreibens, der für einen Genauigkeitsbesessenen wie ihn beim Untersuchen von Hasszuständen und Unterdrückungsgelüsten beträchtlichen Schmerz entfaltet haben muss.

Dass die Verhältnisse auch ihm nichts geschenkt haben, erklärt dabei nicht alles. Tišma, am 16. Januar 1924 als Sohn einer ungarischen Jüdin und eines Serben in dem nordjugoslawischen Dorf Horgos nahe der ungarischen Grenze geboren, hatte sein eigenes Zerwürfnis mit der Welt: eine Unzufriedenheit mit allem, was ihm nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner serbischen Heimatstadt Novi Sad, dem Zentrum der Vojvodina, widerfuhr. „Ich wollte gegen meine Umgebung unbarmherzig sein, weil ich mich schwach fühlte“, erklärte er im Gespräch mit dieser Zeitung (Tagesspiegel vom 6.5.2002), „und ich hatte keine andere Möglichkeit, mich zu rächen.“

1942 erlebte er in Novi Sad das Massaker, das deutsche und ungarische Truppen an Juden und Serben verübten und floh nach Budapest. 1944 wurde er in ein transsylvanisches Zwangsarbeiterlager deportiert, um Schützengräben gegen russische Panzer auszuheben. 1944 trat er in die Jugoslawische Befreiungsarmee ein. Die prägenden Erlebnisse dieser frühen Jahre bilden den Ausgangspunkt fast aller seiner Bücher (auf Deutsch im Hanser Verlag und im dtv), wobei der „Pentateuch“, eine Folge von fünf Büchern über Schicksale in Novi Sad vom Zweiten Weltkrieg bis hinein in die sechziger Jahre unübertroffen bleibt. Besonders „Der Gebrauch des Menschen“, das Werk, mit dem er sich 15 Jahre nach der serbischen Originalausgabe 1976 auch hierzulande vorstellte, gibt einen einzigartigen Eindruck von den Grausamkeiten, die das Vielvölkergemenge in der Donaustadt Anfang der 40er Jahre ausbrütete.

Man kann darin wie in den übrigen Büchern des „Pentateuch“, in „Das Buch Blam“, „Die Schule der Gottlosigkeit“ „Kapo“ sowie „Treue und Verrat“ zugleich den Vorschein der Balkankriege lesen, die viel später Titos Jugoslawien zerbrechen ließen und ihn zu kontrovers diskutierten Kommentaren provozierte – wenn man die Gewalt, die an den Menschen rüttelt, nicht zugleich als Ausdruck einer ewigen, politisch nicht zu zähmenden Bosheit betrachten müsste.

Aleksandar Tišma, der jetzt kurz nach seinem 79. Geburtstags gestorben ist, konnte wie kein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts jene Regungen sezieren, die Opfer und Täter schon auf der allerprivatesten Ebene zu Verstrickungen führt, die unter den Bedingungen des Kollektivs in Völkermord münden können. Er war darin, anders als sein großer italienischer Kollege Primo Levi, der das Universum der Konzentrationslager zu verstehen suchte, ein durch und durch kalter Humanist: ein Phänomenologe mit klarer Sprache und ungerührtem Blick. Dabei wollte er kein Intellektueller sein. Alle Theorie war ihm zuwider: Er wollte erzählen.

Als Tišma im vergangenen Mai auf Einladung von Akademie-Präsident György Konrád mit seiner Frau nach Berlin kam, war er als Schriftsteller schon buchstäblich eine Legende. Ausgezeichnet mit vielen bedeutenden Preisen – vom Österreichischen Staatspreis bis zum Leipziger Preis für Europäische Verständigung, hatte er sich vom Druck des Schreibens verabschiedet. Er hielt sein Werk für abgeschlossen und wollte seiner Umgebung mit der ganzen Wachheit, die ihm zur Verfügung stand, und der ganzen Müdigkeit, die ihn ereilt hatte, ohne Verwertungszwang gegenübertreten. So war er, der fließend Deutsch und Französisch sprach, zwar gerne bereit, aus Anlass des Lion-Feuchtwanger- Preises an den österreichischen Schriftsteller Robert Menasse die Laudatio zu halten, ihm das Redemanuskript abzuverlangen, stellte sich als Ding der Unmöglichkeit heraus. Er wollte sprechen – und seine Worte verklingen lassen.

Nun spricht nur noch sein Werk für ihn, hinein in ein Jahrhundert, das Tišma schon fremd geworden war und sich in seinen Geschichten doch noch auf Jahrzehnte hinaus erkennen wird.

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