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Kultur: Schuld und Briefe

Plötzlich ist er da.Kaum aufzuhalten auf dem Weg zum Podium.

Plötzlich ist er da.Kaum aufzuhalten auf dem Weg zum Podium.Ein kurzer Stop, die Kamerateams können nicht folgen, ein letzter langer Schritt dann hinauf ins Licht.Die ersten Worte, launig, gequält: "Liebe Freunde, liebe Feinde".Im Saal: keine Reaktion.Stehend, die Hände fahren auf und nieder, das Bemühen um Contenance - vergeblich."Ich sage jetzt einfach, wie sich mir die Lage darstellt." Die Stimme fest, die klaren Augen im schmalen, fahlen Antlitz von Unruhe getrieben, das erste Zeichen der tiefen Verletzung: "Ich hoffe, daß Sie mir das dann so glauben." Dann galoppieren die Worte.

Die Zeit ist um.Am Dientagabend stand fest: Thomas Langhoff, seit 20 Jahren am Deutschen Theater in Berlin als Regisseur tätig, seit acht Jahren dessen Intendant, wird gegen seinen Willen aus dem Amt scheiden."Schreiben Sie", wird er später sagen, "schreiben Sie ruhig: gefeuert."

Beim Auftritt des Intendanten vor der Presse reichen im Foyer des kleinen Hauses die Stühle nicht.Langhoff, der Hochsensible, der tief Gekränkte, flüchtet ins Kämpferische.Munition hat er genug zusammengetragen.Da wäre zunächst Peter Radunski, Berlins Kultursenator - bisher Langhoffs Gesprächspartner.Der Senator habe noch vor kurzem erklärt: Wenn Sie verlängern wollen, geht das klar.Staatssekretär und Theaterfreund Lutz von Pufendorf, der Langhoff zu dessen Geburtstag brieflich den Aufstieg in den Theater-Olymp vorhersagte, habe gar mehrfach eindringlich gebeten, "auf alle Fälle zu verlängern".Ganze 16 Minuten hat dann das letzte Gespräch gedauert, bei Kaffee und Keksen im Senatorenbüro.Einige Minuten hat Langhoff dabei auf die Lektüre eines Briefes verwendet, der ihm zu Gesprächsbeginn entgegengestreckt wurde.Darin schreibt Radunski, er habe "alle denkbaren Vor- und Nachteile" einer Vertragsverlängerung abgewogen.Und ist dann zu dem Schluß gekommen, daß Schluß sein muß.Und zwar im Jahr 2001, nicht erst 2003, wie Langhoff dies bis zum Ende gehofft, nein, wie er das unbedingt erwartet hatte.Überrascht hat den Intendanten auch die mündlich mitgereichte Begründung: Das Ensemble müsse erneuert werden.Künstlerisch.Hatte es nicht vor gerade zwei Wochen ein ganz anders intoniertes "Krisengespräch" gegeben? Damals, erinnert sich der Intendant, sei der überzogene Etat angeführt worden, weshalb es mit der Vertragsverlängerung Schwierigkeiten geben könne.Man habe ein Ziel vereinbart: Ausgeglichener Haushalt für die kommenden Jahre, darauf Tilgen der Vier-Millionen-Schuld.Und jetzt das: er, Langhoff, der Ensemble-Intendant schlechthin, soll gehen, weil sein Ensemble angeblich nicht taugt.Künstlerisch.Kein Wort mehr von den Schulden.Langhoffs Radunski-Pufendorf-Bilanz: Stilistisch "unappetitlich", in der Sache: "inkompetent", insgesamt: "Unbegreiflich in ihrer Wirrheit und geistigen Konzeptlosigkeit."

Dann der Brief im Original-Ton."Süffisant und heiter" hat sich Langhoff ins Drehbuch für diese Szene seines Auftritts notiert.Es soll anders kommen: auch in diesem Moment der erneuten Lektüre ist Thomas Langhoff noch immer fassungslos.Einmal hebt sich die Stimme, droht fast zu überschlagen: "...bin ich zuversichtlich, daß Sie Verständnis für meine Haltung aufbringen." Er hoffe, daß "Berlin noch lange und häufig von Ihrer brillanten Kunst des Regieführens profitieren wird".Persönliche Gespräche zu führen, sei er, Radunski, "jederzeit gerne bereit".Thomas Langhoff legt den Brief nieder.Vermutlich ist selten in diesem traditionsreichen Theater ein Stück Papier so verächtlich beiseite gelegt worden.Das Schönste ist, sagt Langhoff dann, daß ich nie mehr diese Gespräche führen muß.

Es gab sie zur Genüge.Die Idee, das Regie-Genie Luc Bondy fest ans Haus zu binden, die Rückkehr seines Bruders Matthias hat er dem Senator erläutert, ebenso die Umstrukturierung der Kammerspiele und die Pläne zur Kosteneinsparung.Fast beiläufig erwähnt Langhoff dabei, daß "Luc selbstverständlich gesagt hat: wenn ich komme, mußt Du aber verlängern".Ganz und gar nicht beiläufig dann der Satz: "Es ist absurd zu glauben, ich hätte das nur öffentlich gemacht, um meinen Vertrag zu verlängern." Bondy sollte zum 1.1 .2000 in die Leitung des Hauses aufgenommen werden und zwei Regiearbeiten pro Jahr am Deutschen Theater herausbringen.Und die in den letzten Jahren oft reichlich uninspiriert dümpelnden Kammerspiele würden in drei kleinere, variable Bühnen umgestaltet werden und - nach dem Beispiel der erfolgreichen "Baracke" - von jungen Regisseuren unter der Leitung von Stefan Otteni zu einem Ort eigenständig-produktiver Nachwuchsförderung umgerüstet werden.Und nun? "Luc ist zur Zeit in Japan.Wir werden versuchen, das zu einem guten Ergebnis zu bringen."

Allmählich entspannen sich im Gesicht die Züge.Ja, sinniert Langhoff fast ein wenig versunken, es sei in den letzten Jahren einiges am Hause ins Leere gelaufen: "Wie das so ist im Leben: man macht etwas und merkt zu spät, daß die Zeit dabei ist, darüber hinweg zu gehen." Langhoff weiß, daß er für diesen Stillstand verantwortlich ist.Daß man ihm jetzt nicht die Chance läßt, das Haus 2003 "anständig zu übergeben", hält er dennoch für eine schreiende Ungerechtigkeit.Langhoff hat sich müde geredet, reagiert bisweilen gereizt auf bohrende Nachfragen.Eine noch, Herr Intendant.Könnte sich, sagen wir, durch einen Regierungswechsel, noch eine Wende ergeben? "Fest steht", sagt Langhoff, "ich werde länger amtieren als dieser Senator." Gemurmel im Saal.Nach kurzem Zögern strafft sich im Scheinwerferlicht der schmächtige Oberkörper des Intendanten: "Nein, ich stehe wirklich nicht mehr zur Verfügung."

MORITZ MÜLLER-WIRTH

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