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Kultur: Schule für Selbstdenker

Ein Fest in Weimar: Die Goethe-Medaillen

Wer ist Goethe? In seiner leidenschaftlichen Dankesrede beschwört Fuad Rifka die Frage vielleicht ein Dutzend Mal. Wer ist Goethe? Rifka weiß sich keine Antwort auf das Rätsel, aber er hat Gedichte Goethes ins Arabische übersetzt, wie auch Hölderlin, Novalis, Rilke oder Trakl. Eine außerordentliche Tat, denn lange Zeit gelangte deutschsprachige Lyrik, wenn überhaupt, nur auf dem Umweg über das Französische und Englische in die arabische Welt. Der Libanese ist am 28. August, zu Goethes Geburtstag, mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet worden. Sein Laudator Stefan Weidner stellte Rifka, 1930 in Syrien geboren, als Universalpoeten vor; in seinen Versen verschmelzen Sprachen und Kulturen.

Wenn der Sommer zur Neige geht, lädt das Goethe-Institut zur Verleihung seiner Medaillen nach Weimar. Geehrt werden Persönlichkeiten, die sich auf die eine oder andere Art und Weise um die deutsche Sprache verdient gemacht haben. In diesem Jahr fiel die Wahl – neben Fuad Rifka – auf die Philosophin Agnes Heller und John M. Spalek, den Erforscher und Bewahrer deutscher Exilliteratur in den USA. Es handelt sich um ein für den Kulturbetrieb selten gelöstes und zugleich konzentriertes Ritual in der Klassikerstadt; man kommt mit ungewöhnlichen Menschen zusammen und führt gewinnbringende Gespräche. Und wie viel Freude macht es, zuzuhören, wenn Agnes Heller von Goethe spricht und ihn einen „Selbstdenker“ nennt. Das passt zu der 1929 in Ungarn geborenen Dame, die daran erinnerte, dass die europäische Philosophie eben keine rein europäisch-griechische Denkschule ist, sondern auch in der arabisch-vorderasiatischen Welt wurzelt. Im Übrigen, postuliert Heller, müsse Philosophie persönlich sein, von Mut und Risikobereitschaft getragen. „Ismen“ gebe es nicht, oder höchstens in epigonenhafter, nicht origineller Form.

Was für einen langen und gefährlichen Weg hat Agnes Heller zurückgelegt, die einmal als Assistentin von Georg Lukács begann und 1977 ins Exil ging, erst nach Australien, dann in die USA. Die Goethe-Medaille – die Auszeichnung ist undotiert und ein offizieller Orden der Bundesrepublik Deutschland – führt Biografien des 20. Jahrhunderts vor Augen. Wie auch bei John M. Spalek. 1928 in Warschau geboren und seit 1949 in den USA, hat der Germanist seine Arbeitskraft ganz in den Dienst deutscher Exilschriftsteller gestellt. Über 200 Nachlässe spürte er auf, ein Archäologe auf literaturwissenschaftlichem Gebiet. Wie schwierig und wie wichtig Spaleks Ausgrabungen sind, legte der Berliner Verleger Klaus G. Saur eindrücklich dar. Und es ist nicht vorüber: Spalek braucht Fördermittel, um die Arbeit gegen die Zeit und das Vergessen fortzusetzen.

Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, würdigte die „Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit“ der Preisträger in der globalisierten Welt. In dieser stehe es um die deutsche Sprache nicht gut, klagte der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant in seiner Festrede. Denn die Deutschen lieben ihre Sprache nicht, sie flüchten sich in die neue Hochsprache des Englischen. Wie sollen Migranten Lust haben, Deutsch zu lernen, wenn die Eliten hierzulande den „Statusverlust der alten Hochsprache“ so munter befördern? Trabant warnt, aber mit klugem Humor. Er ist kein Bildungs-Sarraziner. Zu viele unverdaute englische Brocken belasteten das Deutsche, das allerdings nie eine Weltsprache war, auch nicht zu Zeiten des Geheimrats. Trabant fügte sich ins „globalesische“ Sprachschicksal, fügte lächelnd hinzu: „Happy Birthday, Goethe!“ Rüdiger Schaper

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