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Kultur: "Schwanensee": Federvieh, aufgewärmt

Das Vorspiel zu "Schwanensee" an der Komischen Oper ist alles andere als märchenhaft. Chefchoreograf Richard Wherlock, der sich und seinen Ruf vorzeitig von Berlin nach Basel rettete, sagte nach Querelen mit Intendant Albert Kost seine Neuinszenierung des "Nußknackers" ab.

Das Vorspiel zu "Schwanensee" an der Komischen Oper ist alles andere als märchenhaft. Chefchoreograf Richard Wherlock, der sich und seinen Ruf vorzeitig von Berlin nach Basel rettete, sagte nach Querelen mit Intendant Albert Kost seine Neuinszenierung des "Nußknackers" ab. Nun sollte die Rückbesinnung auf selige Tom-Schilling-Zeiten zumindest beim Publikum die Stimmung an der Behrenstraße etwas heben. Birgit Scherzer, als Tänzerin und Choreografin Kind der ehemaligen Tanztheater-Schmiede des Hauses, nutzte die Gunst der schwarzen Stunde, um ihre 1998 in Saarbrücken entstandene "Schwanensee"-Inszenierung gen Berlin zu verladen. Ein offener Affront gegen die künstlerische Linie von Richard Wherlock, der in dieser Spielzeit noch zwei Inszenierungen an der Komischen Oper herausbringen wollte.

Doch wie schmeckt sie nun, des Intendanten Ballett-Kost? Leicht muffig durch eine zu starke Dosis Stallgeruch, etwas penetrant durch das Hofieren von Altstars wie Gregor Seyffert. Daraus ein begeistertes Publikum backen zu wollen, ist vermessen - und erntete entgeisterte Mienen. Denn was im ersten Akt über die Bretter ging, war allenfalls leeres Bühnengestammel, hohle Exaltation. An die aufgeregte Mutterbrust gedrückt, will Jung-Siegfried (Lars Scheibner) das Lebenslicht schier schwinden. Es ist sein Geburtstag, doch das schert niemanden vor lauter Hüftkreisen und Stühlerücken. So also soll sie sein, die Welt der Erwachsenen: zudringlich, oberflächlich, grell und dazu wohl noch taub. Anders lässt sich nicht erklären, warum so wenig mit Tschaikowskys Musik (von Matthias Foremny als Pauschalangebot dirigiert) getanzt wird. Auch ist breitbeiniges Torkeln wenig erotisch und das ewige Geschiebe der Stühle sicher nicht als Metapher für das heillose Job-Karussell der Berliner Ballett-Welt gedacht. Jedenfalls fühlt man mit Siegfried: Dieses Treiben ist einfach zum Kapuze-übern-Kopf-ziehen.

Nur weg von hier. Und hinein in das "Wunschreich tastender Sexualitätserfahrung", das Scherzer und ihr Dramaturg Matthais Kaiser im "Schwanensee" entdeckt haben wollen. In einer Art Wellblechschwimmhalle räkelt sich zwischen Plastebahnen ein Rudel Schwäne in roten Schwimmanzügen. Zielsicher greift Siegfried sich seinen Schwan heraus. Steif und spröde wie Stroh hängt Odette (Heike Keller) in seinen Armen - unberührt, unberührbar. Völlig unverständlich, wie der junge Held nach dieser Erfahrung Odile (Angela Reinhardt), den schwarzen Schwan, mit seiner kühlen Geliebten verwechseln kann. Die wirft sich unter dem Beifall der verschlingenden Bräute, lüsternen Pagen und der rotierenden Mutter beherzt auf Siegfried, der sogleich als Mann und betrogen in der Welt steht. Also zurück ins Schwimmbad und Odette, die jetzt doch eine Frau sein will, in die Arme geschlossen. Die Schwäne ziehen derweil leise von der Bühne ab. Irgendwohin, wo die Gedanken weniger verworren sind und Ensembles weniger wackelig. Mit Buh-Rufen für Birgit Scherzer geht der Abend unter. Vor der Premiere hatte sie sich noch für ein Engagement an die Komische Oper ins Gespräch gebracht. Jetzt kann Albert Kost einen weiteren Namen streichen.

Mit Rührung denkt man da zurück an Zeiten, als die Staatsoper noch Alarm schlug, wenn die original Petersburger Schwanendichte in Gefahr geriet. Von den Allmachtsfantasien des ballet blanc ist in Berlin nichts übrig geblieben, seitdem die Intendanten vom Rupfen zum Köpfen ihrer Compagnien übergegangen sind. Tot denn nun alles. Doch wehe! Diesem Trauerspiel weint bald keiner mehr eine Träne nach. Manch einer erkennt darin den tieferen Sinn von Berlins Ballett-Politik.

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