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Und wir haben mitgeholfen. Pressekonferenz des Event Horizon Telescope in Brüssel zur Präsentation des dingfest gemachten Schwarzen Lochs.

© Zhang Cheng/XinHua/dpa

Schwarze Löcher: Weltgeist im Orkus

Das schwarze Loch als Projektion und Wirklichkeit: Rauben uns die jüngsten Aufnahmen aus dem Kosmos die Fantasie?

Von Caroline Fetscher

Zum ersten Mal ist es Astronomen gelungen, ein schwarzes Loch visuell festzuhalten. Seit Mitte der Woche faszinieren die Fotos davon Millionen. Vor tiefschwarzem Grund leuchtet schwammig ein feurig orangefarbener Ring – und in dessen Mitte ein schwarzes Rund mit opakem Rand. Ein bisschen erinnert dies an das Auge einer wenig vertrauenswürdigen Kreatur aus einem alten Science-Fiction-Film.

Das Objekt sitzt im Zentrum der Galaxie „M87“ und soll sechs Milliarden Mal mehr Masse besitzen als unsere Sonne. Wenn Riesensterne erlöschen, kollabieren sie unter ihrem eigenen Gewicht. In schwarzen Löchern, heißt es, werden möglicherweise Millionen oder Milliarden solcher Sonnen verdichtet. Diese immense Masse hat eine Gravitationskraft, die alles anzieht, was ihr nahe kommt, auch das Licht, das einen dualen Charakter aus Welle und Korpuskel hat, also aus Schwingung und aus Teilchen besteht.

So gesehen ist das schwarze Loch eine Art Orkus, ein Materie verschlingender Megamagnet, ein Phänomen, das seinen bedrohlichen Namen verdient. Ein Gran Apokalypse summt darin, das Menetekel einer monumentalen Implosion. So mutet das kumulative Ende vieler Sonnen an wie ein Hinweis auf die Angst vor einem Ende von Licht und Aufklärung. War es ein Zufall, dass sich Albert Einstein ausgerechnet 1939 mit der Möglichkeit solcher Gravitationsmassen befasste? Zugleich ließe sich fragen, ob nicht besser von einem staunenswerten Ballungsraum der Energie die Rede sein sollte, von Kraftzentren im Universum. Entsteht dort nicht vielleicht sogar etwas Neues?

Harmonie und Dämonie

Wie jede Metapher, die sich auf Kosmisches bezieht, sagt auch das schwarze Loch etwas über die Gegenwart aus, über die Zeitgenossen, die Sprachbilder für Phänomene am Himmel gewählt haben, Projektionen von Harmonie und Dämonie, des göttlich Guten, des göttlichen Zorns, der Ambivalenz und des Nihilismus. Ein moralisches Äquivalent zum schwarzen Loch tat sich 1979 in der Weltraumfantasie „Star Trek“ auf. Darin treibt eine gigantische Wolke aus Energie auf die Erde zu. Auf ihrer Bahn ignoriert sie Kommunikationsversuche von Raumschiffen, kollidiert mit ihnen und lässt deren Trümmer zurück. Commander Spock auf der „U.S.S. Enterprise“ empfindet die Wolke als ein fremdes Bewusstsein, er begegnet einer Entität, die sich „V’ger“ nennt – ein Stummel des Wortes „Voyager“. Denn die Wolke ist das frei flottierende Residuum einer Raumsonde der NASA. Auf der Suche nach Kontakt zu ihrem Schöpfer treibt sie umher wie ein Waisenkind, das nach seinen Eltern fahndet. Dann offenbart sich das Ungeheuerliche: Die Wolke verfügt über ein phänomenales, universelles Wissen, kann jedoch nichts mit Emotionen anfangen. So gleicht sie einem autistischen Weltgeist, einer Art Gott ohne Gott. Anschaulich bildet das die Ängste ab, die antisoziale, rein marktlogische Gesellschaften vor sich selber haben können und sollten.

Commander Spock erkennt, worum es der mutierten Raumsonden-Wolke geht: Sie hat sich in einen aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zusammengesetzten MINT-Moloch verwandelt, der umherirrte, um wieder zu sich zu finden. Als die Menschen nicht antworteten, setzte er zu deren Vernichtung an. Dann gelingt der Enterprise-Crew die Kontaktaufnahme. „V’ger“ erfasst, dass Erdlinge die Sonde erschaffen hatten, und fordert Erklärungen: Was für einen Sinn hat solch ein kaltes Existieren? In einem quasi-religiösen Opferakt will ein Crewmitglied der Wolke die Idee der Humanität nahebringen und löst sich mit ihr gemeinsam auf – immerhin in lichtschimmernde Energie.

Von der Metapher eines schwarzen Lochs ist diese mehr oder minder glücklich zur Umkehr gebrachte Dystopie weit entfernt, während die Forschung seit 1979 weiter in den Bereich dessen eingedrungen scheint, was einmal Science-Fiction war. Am Ablichten des schwarzen Lochs war ein globales Netzwerk aus Radioteleskopen beteiligt, das Phänomen wurde quasi aus allen Himmelsrichtungen eingekreist. Im Bild festgehalten wurde jedoch nur etwas, das die Kundigen dessen „Ereignishorizont“ nennen. Diese wundersame Metapher könnte auch der Sphäre der Eventkultur entstammen, klingt aber in diesem Kontext eleganter und geheimnisadäquater.

Schwarze Löcher erinnern an das Rätsel des Kosmos, wie wir als Gattung auf einem so kleinen Planeten entstanden sind. Es erinnert an die Fragen zum Urknall (was war davor?), zum Raum (was liegt vor und hinter ihm?), zum Vergangenheitsunendlichen und Zukunftsunendlichen der Zeit. Einen Punkt auf der Zeitachse, der Jetzt heißt, gibt es nur in der Fantasie. Und auch der Begriff des schwarzen Lochs entstand allein in der Vorstellung von Menschen.

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