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Kultur: Schwarze Träume

Anna will nicht ins Bett. Lieber möchte sie noch mit der Großmutter spielen.

Anna will nicht ins Bett. Lieber möchte sie noch mit der Großmutter spielen. Wie wäre es außerdem mit einem Märchen? Zum Beispiel mit der Geschichte vom kleinen Mädchen, dem waren Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Über die Grimmsche Geschichte schläft Anna ein. Sie erwacht in "Sterntaler - Ein Großstadtmärchen", geschrieben und inszeniert von Manuel Schöbel, dem Intendanten des Carrousel Theaters. Annas Großmutter ist inzwischen gestorben, die Alpträume des Alleinseins haben gewütet und die Bühne hat sich zu einem Labyrinth aus Gängen und Treppen geweitet. Durch die irrt Anna (Johanna-Julia Spitzer) fast zwei Stunden lang, um zu zeigen, daß man trotz aller Sorgen ein lieber Sterntaler sein kann. Sie schenkt einem Jungen erst das letzte Brot, und als sich die freche Göre (Gina Durler) als Mädchen entpuppt sogar noch das letzte Kleid. Der vom mausgrauen Bösemann (Helmut Geffke) drangsalierte Karl Halsband (Wesselin Georgiew) bekommt Annas Mantel, und überhaupt kriegen alle von ihr so viel Liebe, daß es schon fast wehtut. Und was bekommt Anna? Vom Gitarristen Jens Jensen ein paar schöne Lieder, vom Puppenspieler Hans-Jochen Menzel ein Reise durch erzählerisch vervielfachte Märchenträume, von Manuel Schöbel eine Inszenierung, die mit langen Blicken und bedeutungsschweren Pausen poetische Tiefe vermitteln will und szenischen Stillstand erreicht (nächste Vorstellungen am 6. und 7.7., 10 Uhr). Für die kleinen Zuschauer (ab 6) ist das Stück manchmal ein bißchen oberschlau. Trotzdem applaudieren sie mächtig, wenn alle Sternschnuppen gefallen und alle Wünsche gewünscht sind.

FRANK DIETSCHREIT

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