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Kultur: Schweden-Happening

Man kann auch mit Jazz Erfolg haben: Das Esbjörn Svensson Trio spielt heute in Berlin

Als Esbjörn Svensson das erste Dutzend Töne spielt, meint man, einen fleißigen Klavierschüler im Nebenraum eine Bachsonate üben zu hören. Die Noten rutschen wie Perlen über die Schnur einer Kette, artig, schüchtern und unerheblich. Dann setzen Bass und Schlagzeug ein. Brutal und böse wird die Lieblichkeit des Anfangs zerfetzt. Dan Berglunds Kontrabass grummelt, jault und quietscht wie eine E-Gitarre, Magnus Öström an den Drums untermalt den schleppenden Beat mit zischenden Beckenschlägen. Wenn Jazz je nach Heavy Metal geklungen hat, dann hier.

Mag sein, dass mit „Fading Maid Preludium“, der vierminütigen Tritonus-Erforschung zum Auftakt des neuen E.S.T.-Albums „Tuesday Wonderland“ (ACT), auch die Hoffnungen von Namensgeber Svensson weggefegt wurden, ein Werk im Geiste der kontrapunktisch gewebten Kompositionslehre zu schaffen. Der Schwede Svensson soll seine beiden Jugendfreunde, mit denen er seit 1993 ein Piano-Trio unterhält, im Studio mit dicken Stapeln an Notenblättern überrascht haben. 24 Präludien und noch einmal so viele Fugen hatte er niedergeschrieben, um als Ausgangspunkt für die traumwandlerischen, zwischen Disziplin und Freiheit changierenden Improvisationsausflüge zu dienen. Doch seine Kompagnons spielten nicht mit. „Zu viele Noten“, monierten sie, „zu wenig Atem.“ So mag in dem kurzen, jäh unterbrochenen Vorspiel des Pianisten auch die Wehmut darüber mitschwingen, das seine Kunst von flüchtiger Wirkung ist.

Allerdings gibt es im Jazz derzeit – und nun schon seit Jahren – kaum eine vergleichbare Formation, die sich so blind versteht und durch ihre labyrinthischen Songs treibt. Das amerikanische „Downbeat“-Magazin widmete ihnen zuletzt eine Titelgeschichte unter dem drohenden Titel „Europe Invades!“. Zum ersten Mal war eine nicht-amerikanische Band auf dem Cover. Kritiker feiern sie als Bindeglied zwischen dem geistigen Horizont des Jazz und dem ekstatischen Moment der Popkultur. Denn für eine Band, die sich ausschweifende Soli, vertrackte Rhythmen und beißende Klangeffekte leistet, sind die drei Schweden sehr populär. Ihre vergangenen Platten fanden sich in den Charts, Konzerte pflegen sie mit Lichteffekten und Nebelschwaden zu sinnlichen Gesamtkunstwerken zu machen.

Auch „Tuesday Wonderland“, das zehnte Album des Trios, schreibt diese Erfolgsgeschichte fort. Wieder winden sich die wie selbstverständlich ineinander greifenden Songteile in schwindelnde Höhen der Improvisationskunst. Nie ist genau auszumachen, wo die Verabredung endet und das kollektive Wagnis beginnt. Die drei Instrumentalisten musizieren im Schraubenwasser von Radiohead, Drum & Bass und den legendären Trio-Gruppen von Keith Jarrett. Das Naive und das Derbe liegen eng beieinander. Süße Kinderlied-Melodien wechseln mit rasanten Up-Tempo-Beat – mehr an den Geräusch-Bildern der europäischen Avantgarde und des Rock interessiert, als an den Ahnenreihen des Jazz.

Und trotzdem führt von hier aus ein direkter Weg ins Herz des Swing. Das wird an einer Ballade wie „Where We Used To Live“ deutlich, die auch von Bill Evans gespielt worden sein könnte. Öström streichelt die Fälle mit dem Besen, Berglund gibt seinen Bass-Linien Gravität, und Svensson löst sich davon, repetitive, ekstatische Figuren aus seinen Tasten zu schlagen, mit denen er sein Publikum überall in der Welt hypnotisiert. Das Elliptische, mit dem diese Musik ein wenig selbstverliebt um sich selbst kreist, kriegt Beulen und setzt aus. Aber der Fluss, dieser betörende Tonstrom, versiegt nie.

Esbjörn Svensson erklärt die besondere Gabe seiner Band, sich ständig verändernden Stimmungslagen zu überlassen, mit dem Mangel an Lehrern. Nachdem sein Sandkastenkumpel Öström ein Schlagzeug geschenkt bekam und es bei den Svenssons aufstellte – dort stand das Klavier -, spielten sie einfach los. „Wir hatten keine Ahnung, wie das ging. So konnte sich unsere Musik über einen langen Zeitraum auf sehr individuelle Art entwickeln, weil uns niemand sagte, wie wir spielen sollten.“

Selbst heute, da die Musiker zu Virtuosen gereift sind, haftet ihren Stücken dieser Furor des Selbermachens an. Im Titelstück von „Tuesday Wonderland“ gibt ein pulsierender Funk-Beat Geschwindigkeit und Gewicht vor, Berglund spielt auf dem Bass eine spiegelbildliche Version dessen, was Svensson schließlich als Thema einführen und in rasante Läufe auffächern wird. So verteilt sich die Melodie auf divergierende Stimmen. Und durch die Hintertür wird jene Kunst der Fuge erkennbar, die den Musiker ursprünglich den Atem zu rauben drohte.

E.S.T. spielen am heutigen Sonntag im Berliner Postbahnhof, 20 Uhr.

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