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Kultur: Schweig dich aus

Gustav Peter Wöhler in „Urlaub vom Leben“

Als der Sparkassen-Angestellte Rolf Köster ins Taxi steigt, geht es endlich etwas gesprächiger zu. Die Taxifahrerin Sophie textet ihn zu, dass es eine nervtötende Freude ist. Der verlegene Gustav Peter Wöhler und die Quasselstrippe Meret Becker: nein, kein Albtraumpaar, nur zwei ganz normale Leute, die neben der Spur sind – und sich auf der Nebenspur begegnen wie sonst die großen Leinwandpaare. Die Kamera blickt ungerührt von außen durch die Windschutzscheibe. Komik des rasenden Stillstands.

Lakonie scheint eine neue Qualität des deutschen Films zu sein: „Urlaub vom Leben“ kommt in einer ähnlichen Tonart daher wie Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“, mit ähnlich treffsicheren Dialogen. Die junge Regisseurin Neele Leana Vollmar zeigt deutsche Loser auf so stillvergnügte Weise, dass jeder, bei dem es schon mal kriselte, sich wiedererkennt. Allein die Familie des Sparkassenmanns: Die zwölfjährige Tochter sagt beim Essen: „Ich bin schwanger“, damit ihr endlich jemand zuhört. Der siebenjährige Sohn muss immer einen Helm tragen, weil er partout mit dem Kopf durch die Wand will – hoffentlich kommt er nicht in die Sonderschule. Um all das kümmert sich Kösters patente Frau, die eine Affäre mit dem Schuldirektor hat. Köster selbst ist nur für den Hintergrund zuständig.

Meist ist Köster schweigsam. Gustav Peter Wöhler – man möchte ihn unbedingt öfter im Kino sehen – liefert aus dem Off ein paar Stichworte zum langweiligen Leben seiner Figur. Morgens schiebt er seine beleibte, zerknautschte Figur über die Aschenbahn, er nennt es joggen. Schwitzt, ringt nach Luft, steht tagein, tagaus am Sparkassenschalter, übt sich in freundlicher Routine. Man schließt ihn sofort ins Herz, seine öde Existenz, seine unscheinbare, unattraktive Gestalt.

Weil ihm neuerdings immer schlecht wird, gibt sein Chef ihm eine Woche Urlaub. Klassischer Plot: Köster verrät’s seinen Lieben nicht, verlässt weiter pünktlich das Haus, trifft die Taxifahrerin, lässt sich treiben, kriecht raus aus der Schwermutshöhle. Aber er bleibt gemächlich dabei. Kein Ausbruch, kein Aufbruch: Vollmar porträtiert nur das unmerkliche Innehalten von einem, der sich nicht mehr sicher ist, was sein Leben eigentlich taugt.

Ein schöner Song, ein Bier mit dem Nachbarn (Lars Rudolph) – vielleicht gibt es ja Alternativen zur Resignation. Etwa ein Fußballspiel im Fernsehen, bei dem er sich von der naseweisen Freundin der Tochter die Regeln erklären lässt. Eigentlich interessiert Köster sich nicht für Fußball. Am Frühstückstisch, da bleibt er sich treu, wechselt er jeden Morgen den frisch gedeckten Teller gegen einen anderen aus. Noch eine Routinegeste. Aber eine sinnlose, die bis zum Ende nicht erklärt wird. Ohne Worte ist Kino manchmal am schönsten.

Babylon Mitte, Filmkunst 66, Filmtheater am Friedrichshain, Passage

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