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Kultur: Schweigen ist auch schön

„Wolken ziehen vorüber“ nach Aki Kaurismäki am Deutschen Theater Berlin

Am Ende wird doch noch alles gut. Es erklingt der finnische Tango, der dem Stück – und Aki Kaurismäkis Film – den Namen gegeben hat: „Wolken ziehen vorüber, du greifst vergeblich nach ihnen“. Die Angestellten entrollen ein Spruchband mit der deutschen Übersetzung, die Restaurantgäste steigen auf die Tische und strecken die Arme gen Himmel. Und plötzlich ist alles da: Timing, Leichtigkeit, Gefühl, so ein Schweben und Tanzen und sogar ein Lächeln. Alles, was zuvor so schmerzlich gefehlt hatte.

Es heißt nicht nach Wolken, sondern nach Sternen greifen, wenn man wie Stephan Kimmig versucht, einen Film von Aki Kaurismäki auf die Bühne zu bringen – gerade weil zunächst einmal viel dafür spricht: der begrenzte Raum, die klaren Charaktere, die wuchtigen Dialoge. Und es funktioniert doch überhaupt nicht: Weil für Kaurismäki Dialoge, so gut sie auch seien mögen, nur Beiwerk sind, abgepresst einer tiefsitzenden Schweigsamkeit, und weil die Magie, auch die Komik seiner Melancho-Komödien gerade dieser Einsilbigkeit entspringen. Und: Weil er seine nicht sehr glamourösen Protagonisten mit unendlicher Zärtlichkeit behandelt. Kaurismäki filmt auf Augenhöhe.

Das gilt auch für Kaurismäkis heitersten, freundlichsten Film „Wolken ziehen vorüber“ von 1996, der ein junges Ehepaar durch alle Höllen der Arbeitslosigkeit führt, um ihnen am Ende einen Märchenschluss zu schenken. Dass Ilona und Lauri nie aufgeben, liegt daran, dass sie so stoisch in sich ruhen. Genau dieses In-Sich-Ruhen aber fehlt dem Protagonistenpaar am Deutschen Theater. Wo Kaurismäkis Schauspieler unbewegte Miene machen, weil sie im Innern unverwundbar sind, bewahren Katharina Schmalenberg und Ingo Hülsmann mühsam Maske. Versuchen zu spielen, ohne zu fühlen – und sind doch nur dort lebendig, wo sie aus der Rolle fallen. Katharina Schmalenberg ist Kaurismäkis wunderbarer Charakterdarstellerin Kati Outinen physiognomisch sehr ähnlich, schmal, blass und blond, hat auch die gleiche Hartnäckigkeit, ja Sturheit. Eine Ordnungsfanatikerin, die darauf besteht, die Welt zu reformieren. Doch wo Kati stoisch ist, ist Katharina zickig, und nur dort menschlich, wo sie schwach sein darf. Und Ingo Hülsmann, der endlich einmal eine große Rolle bekommt, ist ohnehin viel zu zappelig für Kaurismäkis Charakterfach.

Das Problem: Nichts ist schwerer als Theater ohne Text, und wo Lakonie nicht funktioniert, entsteht Langeweile. Es ist eine Frage des Timings, und an dem mangelt es im Deutschen Theater. Das beginnt schon beim schönen Einfall, den Bühnenvorhang ruckweise zu heben, dann wieder zu senken, dann wieder zu heben, bis der Blick frei wird auf das Restaurant „Dubrovnik“ und seine skurrilen Gäste. Doch so wie der Vorhang ruckelt auch der Abend, ein Stück weit in Richtung Realismus – dann wird ein Schnitzel auf offener Bühne gebraten –, dann wieder in Richtung Formalismus, mit Ritualen wie dem abendlichen Bettenbau. Dazu ein wenig Marthaler mit dem Dubrovnik-Personal und viel echte Bitterkeit, wenn es darum geht, sich mit Arbeitslosigkeit abzufinden.

Hier wird Kimmig plötzlich sehr genau, viel genauer, als es Kaurismäki je sein wollte. Wie der Ton zwischen Ilona und Lauri immer schärfer wird, dafür nimmt er sich Zeit. Da kommt auch Ingo Hülsmann ins Spiel, wenn er mit durchgedrücktem Rücken versucht, Haltung zu bewahren, und doch den Stolperfallen des Haushalts nicht entgeht. Doch ist das alles schon nicht mehr Kaurismäki, das ist ein anderer Film. Laurent Cantets „L’emploi du temps“ vielleicht, der von einem Familienvater erzählt, der seiner Umgebung Arbeitslosigkeit verheimlicht. So eine Geschichte, eine hiesige, hätte Kimmig auch erzählen können und wäre damit vielleicht konsequenter gewesen. Doch Kaurismäkis Humor ist ein anderes Kaliber. Wie empört sich Lauri, als er mit Ilona aus dem Kino kommt? „Das soll eine Komödie sein? Ich hab kein einziges Mal gelacht.“

Wieder am 15. und 24. April.

Christina Tilmann

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