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Kultur: Schweiß und Whiskey

„Endstation Sehnsucht“ am Renaissance-Theater

Im verklingenden Schlussapplaus bittet Emanuela von Frankenberg, die zuvor die Blanche in „Endstation Sehnsucht“ war, die Zuschauer im Renaissance-Theater um einen Moment Ruhe. Sie wolle daran erinnern, sagt sie, dass vor genau 25 Jahren Tennessee Williams gestorben sei – und äußert die Hoffnung, seine Stücke mögen noch lange leben. Ein Wunsch, dem man sich im Prinzip gerne anschließt. Wenngleich das, was man zuvor auf der Bühne gesehen hat, keine Empfehlung für den Dramatiker war.

Wilfried Minks’ Inszenierung von „Endstation Sehnsucht“, legendär geworden vor allem durch die Verfilmung mit Marlon Brando und Vivien Leigh, ist vor allem eins: harmlos. Bergen Williams’ schweißtreibende Südstaatendramen, in denen unter Verschluss gehaltene Sexualität einen Überdruck erzeugt, der sich in allerlei zwischenmenschlichen Scheußlichkeiten entladen muss, heute wirklich keine Abgründe mehr? Man darf das bezweifeln. Gewiss ist, dass Williams’ Stücke nicht funktionieren, wenn man sie nur illustriert, statt den Sehnsüchten nachzubohren.

In Minks’ gekürzter Fassung, die vor der Berliner Premiere bereits am St.-Pauli-Theater und bei den Ruhrfestspielen zu sehen war, tragen die Schauspieler ihre Figuren wie Pappschilder vor sich her, auf denen „Prolet“, „Flittchen mit Herz“ und „Hysterische Schmerzensfrau“ steht. Alles muss auf den ersten Blick erkennbar sein. Johanna Christine Gehlen ist als Stella Kowalski eine oberflächliche Verdrängungskünstlerin in Hotpants, die wohl einmal zu oft Tammy Wynettes „Stand by your Man“ gehört hat. Jedenfalls nimmt sie die Suff- und Prügelwut ihres Gatten Stanley klaglos hin. Die kümmerlichen Lebensverhältnisse lächelt sie sich schön. Sehnsucht nach mehr? Mehr ist nicht.

Blanche, ihre ältere Schwester, wird von Emanuela von Frankenberg schon in der ersten Szene als gefallene Schnapsdrossel vorgeführt, die sich, vom Tremor geschüttelt, am Whiskey vergreift, wird als tragische Figur enttarnt, bevor der Abend noch begonnen hat. Wenn dann das lasterhafte Vorleben dieser verlorenen Seele mit Grande-Dame-Fassade im nackten Glühbirnenlicht zum Vorschein kommt, ihre wahllosen Liebschaften, ihre Affäre mit einem 17-Jährigen, ist die Fallhöhe schon auf Fingerbreite geschrumpft. Berührend ist allein die Überforderung, mit der das Muttersöhnchen Mitch (Stephan Benson) auf den Affärenklatsch über seine Verlobte reagiert.

Auch Ben Becker, der den Triebmenschen Stanley spielt, trägt dick auf. Ein röhrender Macho, szenenweise im ölverschmierten weißen Unterhemd (kleiner Gruß an Brando), dem aufs Fingerschnippen das Bier zufliegt. Er könnte auch den Bierkasten schultern und übergangslos den frauenfressenden „Baal“-Proll fortsetzen, den er bei Thomas Thieme gegeben hat. Da bleibt nur, selbst ein Glas Whiskey auf Tennessee Williams zu trinken. Patrick Wildermann

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