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Kultur: Schwer in der Schwebe

Abenteuer in Stahl: Richard Serra zeigt im Guggenheim-Museum Bilbao acht Skulpturen auf Dauer

Vor Jahren erinnerte sich Richard Serra einmal an das Erlebnis eines Stapellaufs, das er als Kind in der Werft hatte, in der sein Vater arbeitete. Der Schiffsrumpf durchlief in seinen Augen eine vollständige Verwandlung – vom lastenden Gewicht des stählernen Ungetüms zu einem schwankenden, beinahe schwebenden Gebilde. „All das Rohmaterial, das ich je benötigte, ist in dieser Erinnerung gespeichert, die zu einem wiederkehrenden Traumbild wurde.“

Treffender kann nicht ausgedrückt werden, was Serras Stahlskulpturen kennzeichnet. Es ist der beständig spürbare, bisweilen übermächtige Kontrast der stählernen Masse und Massivität und ihrer wagemutigen, ja tänzerischen Erscheinung. Serra ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Gegenwart. Im Alter von nunmehr 65 Jahren hat der in San Francisco als Kind von Immigranten geborene Serra den Gipfel seines künstlerischen Vermögens erreicht. Im Guggenheim Museum der nordspanischen Stadt Bilbao sind in einer zu Beginn dieser Woche feierlich eröffneten Dauerausstellung acht seiner großformatigen Arbeiten zu einem Ensemble vereinigt, das seinesgleichen nicht hat. Und wohl auch nirgends haben kann, in Anbetracht der 142 Meter langen, stützenfreien Halle, in die Guggenheim-Architekt, Landsmann und Freund Frank Gehry sein verschachteltes Bauwerk in großer Geste ausmünden lässt.

Diese Halle war von Anfang an für große Skulpturen, Auftragswerke womöglich, vorgesehen. Dass ursprüngliche Pläne der Unterbringung einer Sammlung minimalistischer Sechzigerjahre-Skulpturen aus nie recht deutlich gewordenen Gründen versandeten, erwies sich als glücklicher Umstand. Denn vor sechs Jahren gastierte Serra mit seiner jüngsten Werkreihe der „Verdrehten Ellipsen“ in Bilbao, die das dort seit der Museumseröffnung 1997 beheimatete, 32 Meter lange und aus drei S-förmigen Stahlschwüngen gebildete Auftragswerk „Schlange“ begleiteten. Damals reifte das im Herbst 2003 schließlich vereinbarte Vorhaben einer dauerhaften Präsentation eigens geschaffener Werke.

Nicht, dass Serras Arbeiten ansonsten im Verborgenen stünden. Sie sind im Gegenteil in aller Welt und zumeist im öffentlichen Raum präsent. Aber eine solche Zusammenschau wie jetzt in Bilbao kann es kaum je geben, wiegen doch einzelne der neuen, übrigens in der Siegener Gießerei Pickhan hergestellten Arbeiten bis zu 440 Tonnen. Was jetzt und – wie mit dem spanischen Sponsor Arcelor vereinbart – auf eine Dauer von 25 Jahren zu sehen ist, darf eine Sternstunde der Gegenwartskunst genannt werden.

Serra zeigt neben der elegant geschwungenen „Schlange“ in sich gedrehte Spiralen und Ellipsen, die, so übersichtlich sie anmuten, doch kaum zu erfassen und noch weniger zu beschreiben sind. Die stählernen Wandscheiben, aus denen sie zusammengesetzt sind, ohne dass diese sich – von Ausnahmen abgesehen – berühren, nähern sich einander an, entfernen sich wieder und verändern den Raum zwischen sich mit jedem Schritt, den der Besucher tut. Meist um die vier Meter hoch, zwingen sie ihn zu einem Gang mit ungewissem Ausgang; Labyrinthen nicht unähnlich, wie sie Renaissance und Barock liebten. Sie lasten und drohen und scheinen doch zu schweben und zu schwimmen; ganz wie das Schiff, das sich in Serras Gedächtnis eingeprägt hat.

Wenn Serra seine Skulpturensammlung mit „Der Stoff der Zeit“ überschreibt, so fasst er damit – und nur auf den ersten Blick paradox – die beiden Elemente zusammen, die seine Arbeiten konstituieren: Raum und Zeit.

Im Erlebnis des Betrachters fließen sie zusammen. Es ist erstaunlich zu sehen, wie Serra diese Riesengalerie der spanischen Guggenheim-Filiale, die doch wie ein öffentlicher Raum angelegt ist, zum Refugium der Selbsterfahrung umdeutet. Von keinem Punkt aus lässt sich auch nur eine der acht tonnenschweren, farblich zwischen frischem Orangerot und verwittertem Braunschwarz oszillierenden Ungetüme zur Gänze erfassen. Selbst der Überblick, den ein Balkon an einer Schmalseite der von gewölbten Dachträgern durchzogenen Galerie gewährt, führt in die Irre; denn die Ahnung von Grund- und Aufriss, die die Vogelperspektive gewährt, korrespondiert so gar nicht mit Blick und Empfindung des Parterre-Betrachters. Die Unmöglichkeit, ein kohärentes „Abbild“ dieser reifen Werke Serras im Gedächtnis zu verankern, ist vielleicht die verblüffendste Erkenntnis. Man ist beinahe versucht, die Ellipsen und Spiralen impressionistisch zu nennen: weil sie eine Folge stetig wechselnder Ansichten und Erfahrungen vermitteln, denen sich das Ganze ihrer doch physisch so ungemein präsenten Masse immer wieder entzieht.

Serra hat sich stets dagegen verwahrt, mit seinem Werk eine Aussage zu machen. Alles Narrative ist ihm zutiefst fremd. Wenn er seine Skulpturen in klarem Duktus erläutert, spricht er über ihre Form und den Prozess der Formfindung. Stets hat er einen Zeichenblock zur Hand, auf den er mit knappen Strichen Skizzen wirft, die die Struktur seiner Skulpturen umreißen. Mit ihnen zielt er auf die Erfahrung des je einzelnen Individuums.

In einer Zeit, in der Kunstgenuss zum Massenkonsum geworden ist – mit dem Bilbao-Guggenheim als quasi programmatischem Gehäuse –, führen ausgerechnet die Stahlriesen Serras auf das zurück, was Kunst ausmacht: die Erfahrung und Aneignung von Welt, die ein jeder Betrachter für sich erringen muss. Darin liegt ein heroisches Moment, das die physische Dimension der Objekte übersteigt. Es ist, wenn man so will, noch einmal das Pathos der Moderne. Serras Œuvre, so verschlossen es dem flüchtigen Blick erscheint, öffnet einen weiten Raum der Erkenntnis.

Bilbao (Baskenland), Guggenheim-Museum, auf Dauer. Katalog in Vorbereitung.

Richard Serra (geb. 1939) jobbte während seines Studiums in einem Stahlwerk.

In Berlin stehen Skulpturen von ihm vor der Philharmonie und auf der Terrasse der Neu-

en Nationalgalerie.

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