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Der Maler, der Polizist und ein Bild: Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti) und Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen)

© Verleih

Schwochow-Film „Deutschstunde“: Pflichtvergessen, ohne neue Wahrheit

Von Nolde befreit, plakativ, lehrbuchhaft: Christian Schwochows Verfilmung von Siegfried Lenz’ legendärem Roman „Deutschstunde“.

Als vergangene Woche der österreichische Schauspieler Tobias Moretti in der ZDF-Kultursendung „Aspekte“ saß, um die Verfilmung von Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstunde“ zu bewerben, tat er das unter anderem vor dem Hintergrund eines großen Fotoporträts von Emil Nolde.

Der Maler hatte Lenz seinerzeit als Vorbild für seine Romanfigur Max Ludwig Nansen gedient, und Moretti spielt in Schwochows Film diesen Nansen, der von den Nazis ein Malverbot auferlegt bekommt.

Nach dem Hinweis der Moderatorin auf Noldes antisemitische und nationalsozialistische Gesinnung, erklärte der Schauspieler, Nansen sei doch bei Lenz nur der Prototyp eines expressionistischen Künstlers, da wären genauso gut Ernst Ludwig Kirchner oder Max Pechstein infrage gekommen.

Moretti schaute dann irritiert-empört hinter sich, dass Noldes Porträt noch immer eingeblendet war, als er über das Gemäldehafte des Films, seinen vermeintlich universellen Charakter sprechen sollte.

Lenz hatte die Bilder von Nolde genau studiert

Nein, es stimmt schon, Lenz wollte keine Nolde-Biografie oder einen Nolde-Roman schreiben. Allerdings hatte er allein die Nolde-Monografie des in den fünfziger und sechziger Jahren maßgeblichen Kunstkritikers Werner Haftmann gelesen und als Quelle genommen; ein Werk, das Noldes politische Einstellung weiträumig ausblendet.

Und hatte denn auch die Bilder von Nolde genau studiert, er „nutzte die Kraft dieser Bilder, stark, subversiv und als Begründung für die argwöhnische Beobachtung, für seine Figur des Malers“.

So schreibt es der Leiter der Lenz-Stiftung Günter Berg in der kommentierten Ausgabe der „Deutschstunde“ von 2017: „Zahlreiche Titel von Bildern oder Zyklen tauchen im Roman auf und können vielfach zurückgeführt werden auf gleich oder ähnlich benannte Werke.“

Man muss das alles noch einmal vorausschicken im Zusammenhang mit der Verfilmung dieses Romans durch Christian Schwochow, nach dem Drehbuch seiner Mutter Heide. Schwochows Film hält sich getreu an die 1968 veröffentlichte Romanvorlage – und wirkt noch befreiter von Emil Noldes tatsächlichem Wirken als Siegfried Lenz’ Roman.

In diesem werden ja nicht nur dessen Bilder beschrieben, sondern zumindest auch darauf angespielt, dass der Maler „die Ereignisse des Jahres 1933 zunächst begrüßte“, er in die Nazi-Partei „nur zwei Jahre später als Adolf Hitler eingetreten war.“

Bei Schwochow dominiert eine plakative Ästhetik

In Schwochows Film hat der Maler keine Vorgeschichte. Er ist das Opfer der Nazis, ein tapferer Mann mit Rückgrat, der, wie bei Lenz, sogar einen Deserteur bei sich versteckt. Ihm wird hoch im Norden in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein, an der Grenze zu Dänemark, vom Dorfpolizisten Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) ein Eilbrief aus Berlin mit dem Malverbot überreicht; Jepsen ist es, der das Verbot überwachen soll, „ich tue nur meine Pflicht“, wie er das in der Folge gebetsmühlenhaft wiederholt.

Jepsen bringt damit seinen Sohn Siggi (Levi Eisenblätter) in Gewissens- und Loyalitätskonflikte, schließlich soll dieser ihm bei der Überwachung des Malers helfen.

Siggi aber ist gleichfalls Freund, Vertrauter und Patenkind von Nansen. Er will ihn und seine Bilder vor dem Vater schützen. Das geht so weit, dass er nach dem Krieg versucht, bei einer Vernissage ein Bild zu stehlen. Deshalb landet er in einer Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche.

Wie Lenz seinen Roman erzählt Schwochow auf zwei Zeitebenen. Sein Film wird gerahmt vom Einsitzen des älteren Siggi (Tom Gronau) in jener Erziehungsanstalt in den fünfziger Jahren. Hier soll er einen Aufsatz über „Die Freuden der Pflicht“ verfassen. Zunächst schreibt er nichts, „weil er zu viel zu erzählen hatte, weil sich zu viele Bilder in seinem Kopf überlagert hatten“. Dann übererfüllt er seine Pflicht und hört nicht wieder auf mit dem Schreiben, sodass man ihn am Ende mit einem ganzen Buchbinde durch die Anstaltsmauer laufen sieht.

Es fällt nur wenig Licht in Siggi Zelle, es gibt in den kurzen Anstaltsessen kaum Farben, selbst das Weiß der Kittel der vielen Psychologen, die einmal in seiner Zelle stehen, wirkt gräulich-schwarz. Aber es ist auch sonst in diesem Film meist düster, düstergrün, düstergelb, düsterbraun, düstergrau.

Immer wieder liegt ein Schatten auf den Gesichtern der Figuren, nur selten sieht man sie in heller Gänze. Selbst wenn einmal die Sonne scheint, wenn die Weite von Strand und Meer ins Bild kommt, wirkt das nicht strahlend oder befreiend; tote Fische liegen dann am Strand, alliierte Bomber werfen ihre Ladung ab.

Penetrant reiht Schwochow Metapher an Metapher, von den toten Vögeln, die Siggi sammelt und in einem verfallenen Haus aufbewahrt, über die Leerstelle eines Bildes, das Nansen abhängen musste, bis zu dem schwarzen Regenumhang, den Siggis Vater draußen stets trägt und der ihn wie einen Sendboten des Todes wirken lässt.

Geht das - das Romanmalervorbild Nolde einfach auszublenden?

Die plakative Ästhetik dieser Verfilmung mag das eine sein. Das andere ist das Lehrbuchhafte. Diese „Deutschstunde“ kommt ohne Zwischentöne aus, ohne Ambivalenzen. Der Film konzentriert sich auf den Konflikt zwischen Polizist und Maler und auf die Nöte des zwischen ihnen stehenden Jungen und bekommt dabei etwas aufdringlich Exemplarisches.

Der Gute ist eindeutig der Maler, was Tobias Moretti blass wirken lässt, der Böse der Polizist, den Noethen wiederum durchgängig stark in seiner Eindimensionalität spielt, und die tragische Figur ist Siggi.

Nicht nur Moretti, auch die Schwochows betonen, wie „universell“ Lenz’ Stoff doch sei, wie zeitlos. Genau das habe sie so gereizt, nach Peter Beauvais Version von 1971 abermals die „Deutschstunde“ zu verfilmen. Nur: Was ist das Universelle hier? Die Sache mit dem strikten Gehorsam auf der einen Seite, dem unbedingten künstlerischen Ausdruckswillen auf der anderen, der Freiheit der Kunst, klar. Doch stellt sich das über fünfzig Jahre nach dem Erscheinen des Lenz-Romans etwas anders dar.

Lenz’ „Deutschstunde“ ist zeitlich und räumlich klar verortet, sein Erfolg verdankt sich ebenfalls der Zeit, in der er veröffentlicht wurde. Aber wie verhält es sich beispielsweise 2019 mit der Pflicht, mit dem Gehorsam, an welchen Stellen der Gesellschaft kommt der zum Ausdruck?

Hat sich da nicht einiges verändert im Lauf der Zeit und der politischen Systeme? Christian Schwochow wiederum erklärte in der „Süddeutschen Zeitung“, wie er sich zusammenreißen müsse, weil er immer wieder auf Nolde angesprochen werde. Und fragte dann: „Wer möchte mir vorschreiben, wie ich meine Kunst zu machen habe? Es ist ein Roman, in dem es übrigens auch um Kunstfreiheit geht.“

Das suggeriert, als würde er an seiner Arbeit behindert, als würde er von der politischen Korrektheit unterdrückt. Doch mal abgesehen von der Nolde-Problematik, davon, dass es auch im Fall dieses Films schwerfällt, Nolde als Vorbild für den Maler einfach auszublenden: Die Schwochow-„Deutschstunde“ entdeckt hinter der Romanvorlage keine neue Wahrheit, und sei es eine künstlerische. Da ist man mit der Verfilmung von 1971 genauso gut bedient.

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