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Jeff Bridges als "The Giver" (l) und Brenton Thwaites als Jonas im Film "Hüter der Erinnerung".

© dpa

Science-Fiction-Drama "Hüter der Erinnerung": Schöne neue Welt des Selbstbetrugs

Phillip Noyce entwirft in seinem Science-Fiction-Drama „Hüter der Erinnerung“ eine scheinbar perfekte Welt ohne Armut und Gewalt.

Fair ist das nicht. 1993 eine gute Idee gehabt, ein ganzes Roman-Genre erschaffen, zum Vorbild für Kinowelterfolge geworden. Dann kommt man mit dem eigenen Film ein wenig zu spät zur Party – und wird verschmäht. Das Original wirkt wie ein Abklatsch seiner Kopien.

Aber die Filmemacher sind ja selbst schuld. Jeff Bridges hatte die Rechte an dem Roman „The Giver“ bereits in den Neunzigern erworben. Es dauerte fast 20 Jahre, bis gedreht wurde, und auch dann gab es Verzögerungen, Änderungen, Nachdrehs. Phillip Noyce, ein verlässlicher Regisseur von Genre-Filmen („The Quiet American“, „Patriot Games“), modernisiert die Handlung: Er gibt das unvermeidliche junge Liebesdreieck hinzu, ein paar Drohnen, ein bisschen Verfolgungsjagd und einen schicken Look. Und, natürlich, einen Pop-Song am Ende.

Keine gute Strategie. „Hüter der Erinnerung“ wirkt umso mehr wie ein Coming-of-Age-Abenteuer von der Stange, voll hübscher Gesichter und Klischees, da helfen auch mutige Entscheidungen wie das kontrastarme Schwarz-Weiß zu Beginn nichts. Der Film kann „Hunger Games“ oder „Divergent“ nicht das Wasser reichen, um nur zwei Roman-Reihen des Young Adult-Sektors zu nennen, die den „Hüter“-Roman von 1993 schamlos ausschlachteten.

Im Mittelpunkt steht der 16-jährige Jonas (Brenton Thwaites). Er lebt in einer scheinbar perfekten Zukunftswelt, in der es weder Armut noch Gewalt, nicht mal ein böses Wort gibt. Aber auch keine Erinnerung an die Zeit davor. Nur der „Hüter der Erinnerung“ (Jeff Bridges) sammelt das Wissen der Menschheit: Er wohnt buchstäblich am Rande der Welt (und ist der Einzige, der lügen darf). Jonas wird zum neuen Hüter ernannt und lernt von seinem Vorgänger, wie es früher war. Es gab Liebe, Farbe, Musik. Aber auch Krieg und Verbrechen.

Leider spielt der Film viel zu wenig mit dem Dilemma, das dieser heranwachsende Mann bewältigen muss – der Güterabwägung zwischen Freiheit und Sicherheit. Wenn ich Gefühlen, Trieb, Neugier ihren Lauf lasse, entsteht Leid – aber ist es das nicht wert? Überhaupt interessiert hier die feine Linie zwischen Paradies und Dystopie: Alle Menschen leben in Eintracht, nur ein väterlicher Freigeist nimmt die Bürde der Erinnerung auf sich. Das ist sozialistisches Wunschdenken ebenso wie religiöse Utopie.

In „Hüter der Erinnerung“ aber, reichlich langweilig, muss die Gesellschaft der Gleichen auf jeden Fall überwunden werden. Sie wirkt erfunden wie eine schlechte Metapher, nicht wie eine aus der Katastrophe hervorgegangene Ordnung. Jonas sieht die Welt jetzt in Farbe und er findet, die anderen Bewohner sollten das auch so sehen. Ach, hätten die Macher dieses Films doch etwas gewagt, ja, die selbst gesetzten Genre-Regeln (die man selbst erfand!) neu definiert. Nichts davon hier. Schade, der Roman hätte das sicher hergegeben.

In 15 Berliner Kinos

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