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Abwärts. Laing (Tom Hiddleston), neu im Hochhaus, erkundet seine Umgebung.

© DCM

Science-Fiction, sehr nah: Der Film "High Rise": Wir da oben, wir da unten

Klassenkampf im Hochhaus: Ben Wheatley verfilmt mit "High-Rise" einen Science-Fiction-Thriller von J.G.Ballard. Cool. Böse. Aktuell.

Die Hochhaussiedlung im Niemandsland wirkt wie eine Ansammlung von Monolithen aus dunkelgrauem Beton: hohe, quadratische Säulen, gekrönt von einem weit auskragenden terrassenförmigen Aufsatz. Fenster sieht man nicht hinter den schmalen Balkons, wodurch die Gebäude, die von riesigen Parkdecks umgeben sind, noch abweisender wirken. Da wirkt schon ein Möwenschiss auf die Schulter eines dort ankommenden Cabrio-Fahrers wie ein Angriff der Natur auf ihre Zerstörer – und tatsächlich kündigt er ein Chaos an.

Vorläufig aber scheint alles in Ordnung: Laing (Tom Hiddleston), soeben voller Begeisterung in einem der oberen Stockwerke eingezogen, liegt nackt auf seinem sonnenbeschienenen Balkon. Da wird er von einem Champagnerglas getroffen, was ihm die Bekanntschaft Charlottes (Sienna Miller) verschafft, eines alleinerziehenden Partygirls. Sie führt ihn in die Hausgemeinschaft ein – in jene der oberen Etagen, die offenbar ausschließlich mit Feiern beschäftigt sind. Nur der Architekt im Penthouse, dessen wunderschöner, weitläufiger Dachgarten mit seiner reichen Flora und Fauna an die Oberwelt in „Metropolis“ (1927) erinnert, ist ständig mit dem Optimieren des Gebäudes beschäftigt. Bis er zugeben muss, dass es offenbar ein Eigenleben führt.

Schwimmbad nur für die Oberschicht?

Im Hochhaus gibt es einen Supermarkt und einen Fitnessraum, ein Schwimmbad, einen Kindergarten und eine Schule. Unten wohnen kinderreiche Familien mit unsicheren Einkommensverhältnissen, alleinstehende Frauen und das Personal. Sie alle sehen nicht ein, warum sie bei der Nutzung der Gemeinschaftseinrichtungen hinter der „Oberschicht“ zurückstehen sollen und setzen sich energisch für ihre Rechte ein.
„High-Rise“ von Ben Wheatley ist die Verfilmung eines 1975 erschienenen Romans des Briten James Graham Ballard, der die Vision einer nahen Zukunft entwirft: Was passiert, wenn die Mittelschicht im Kampf um Ressourcen ihren Zivilisationsfirnis verliert? Gleichzeitig griff Ballard eine These aus der damals noch jungen Umweltpsychologie auf: Die gebaute, materielle Umwelt kann ein bestimmtes Handeln von Menschen herbeiführen. Vor diesem Hintergrund wurden Anfang der 1970er Jahre 33 Hochhäuser einer verwahrlosten Sozialbausiedlung in St. Louis, Missouri, gesprengt. Denkbar, dass das Ereignis, das damals für weltweites Aufsehen sorgte, Ballard zu seinem Roman inspiriert hat.

Der Retro-Look bleibt bloße Folie

Aus heutiger Sicht ist „High-Rise“ eine altmodische Dystopie; der Siebziger-Retro-Look in Mode und Design aber, den Filmarchitekten und Kostümbildner hierfür schufen, bleibt bloße Folie. So ist der aalglatte Held Laing, der als Mittler zwischen Unter- und Oberschicht fungiert, mit seinen grauen Anzügen und Krawatten, dem perfekten Kurzhaarschnitt und dem durchtrainierten Körper ein It-Boy der Gegenwart – Tom Hiddleston wird bereits als nächster Bond-Darsteller gehandelt. Unberührt von der nach einem Stromausfall ausbrechenden Anarchie gleitet diese smarte Survival-Figur durch die Flure, wird stummer Zeuge von Gewalt- und Sexorgien, trainiert im verwüsteten Fitness-Raum und bietet drangsalierten Frauen auch mal Unterschlupf in seiner Wohnung.
„High-Rise“ ist sehr erwachsenes Kino, fernab der unzähligen Feelgoodmovies, die derzeit für die Generation 50+ produziert werden. Inspirierend unangenehm und sogar – im Hinblick auf die viel diskutierte Identitätskrise der Mittelschicht – sehr aktuell. Keineswegs nur was für Leute, die in jenen Siebzigern selber jung waren.
In Berlin ab Donnerstag in den Kinos Cinemaxx, Zoo Palast; OV im Cinestar SonyCenter und Filmrauschpalast; OmU im Central, Eiszeit, Kulturbrauerei, Passage und Moviemento

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