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Sebastiano del Piombo: Ein Fluch mit sieben Siegeln

Wiederentdeckung nach 500 Jahren: Die Berliner Gemäldegalerie zeigt den Renaissance-Meister Sebastiano del Piombo.

Vielleicht war er doch nicht der Sunny Boy, als den Vasari ihn geschildert hat. Der begnadete Lautenspieler und Komponist, poetische Schöngeist und Hofmann, der sich mit Leichtigkeit in Venedigs eleganten Zirkeln bewegte und dort gleich die ersten Aufträge abgriff. Einer, dem immer alles leichtgefallen ist, der sich an Ruhm, Geld und schönem Leben berauschte und, kaum dass er in Rom mit dem Amt des päpstlichen Siegelbewahrers (Piombo heißt Siegel) Versorgung auf Lebenszeit erlangt hatte, es mit der Malerei schleifen ließ. Arbeitsscheu sei er geworden, habe sich dem Müßiggang hingegeben und die Nächte durchgemacht, lautet Vasaris vernichtendes Urteil: „Sein Tod bedeutete keinen Verlust für die Kunst, da man ihn schon seit seiner Ernennung zum Siegelverwahrer zu den Verlorengegangenen zählte.“

Ein schlimmer Fall von übler Nachrede. Nicht unparteiisch zudem: Vasari war heißer Bewunderer Michelangelos, und mit Michelangelo war dessen zeitweilig bester Freund Sebastiano später mehrfach aneinandergeraten. Doch Vasaris Strategie war erfolgreich, für Jahrhunderte. Der Ruf eines sekundären Artisten, eines Schönmalers, dem es zwar nicht an Glanz und Geschmeidigkeit, wohl aber an originärem Genie fehlte, das für Vasari (und für Generationen von Kunsttheoretikern nach ihm) zum Signum des wahren Künstlers wurde, haftet Sebastiano del Piombo (1485 bis 1547) bis heute an. Nicht von ungefähr, dass es Ausstellungen zu Raffael undMichaelangelo, Tizian oder Giorgione alle Jahre wieder gibt. Die Berliner Sebastiano-Ausstellung, verschwenderisch bestückt mit Leihgaben aus allen Museen der Welt, ist die erste Einzelausstellung seit dem 16. Jahrhundert!

Schon das eine Großtat. Umso mehr, als es einen wirklich außergewöhnlichen Künstler zu entdecken gibt. Einen, der zwischen den ganz Großen der italienischen Renaissance-Malerei, zwischen Bellini, Giorgione und Tizian, Raffael und Michelangelo steht und mit ihnen allen mithalten kann. Nicht von ungefähr hat man Sebastiano-Bilder regelmäßig den anderen Meistern zugeschrieben. Hier ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten – Arbeit, die mit der Berliner Ausstellung erst beginnt. Eine erste, gut lesbare Einführung zumindest liefert Kia Vahlands gerade erschienene Kurzbiografie „Sebastiano del Piombo. Ein Venezianer in Rom“ (Hatje Cantz Verlag, 96 S., 19,80 €).

Als begnadeter Porträtist zumindest ist Sebastiano del Piombo auch im 19. Jahrhundert nicht ganz in Vergessenheit geraten. Sein „Bild einer jungen Römerin“ (Dorothea) aus der Berliner Gemäldegalerie gehört zu Recht zu den Meisterwerken der Porträtkunst. Eine ernste, dunkelhaarige junge Frau, die vor melancholischer Bergkulisse mit verschattetem Blick aus dem Bild schaut und gleichzeitig spielerisch den üppigen Pelz streichelt, der ihre Schultern umhüllt, züchtig und doch erotisch, einladend und zurückweisend zugleich. Das ist ganz die neue venezianische Schule, mit der sich Künstler wie Giorgione und Tizian von der satten Madonnenharmonie eines Bellini absetzten. Bei Bellini hatte auch Sebastiano studiert, und mit Tizian und Giorgione malte er gemeinsam ein Dreifachporträt. Und seine „Junge Römerin“ aus Berlin, der Vladimir Nabokov eine Novelle widmete, ist ein Fest in raffinierten Lila-, Rosa-, Grautönen, man meint die Stoffe knistern und rauschen zu hören. Hier malt ein junger Künstler in der Tradition Petrarcas, der seinen Gegenständen, jenen zumeist namenlosen jungen Frauen und Edelmännern, eine Aura von Rätsel und Poesie, von edler Melancholie verleiht. Wie gesagt, Sebastiano wurde als Musiker, Komponist und Dichter hoch geschätzt. Er lebte die Welt, die er malte.

Allein: Das ist nur der eine Sebastiano. Ihn feiert die Gemäldegalerie im Obergeschoss der Sonderausstellungshallen am Kulturforum in Hansjörg Hartungs eleganter, dunkelrot-grauer Raumarchitektur: ein Rausch der Farben und der Materialien, der Freude am Dasein, wenn auch schon jetzt von Nachdenklichkeit geprägt. Schon das ist eigentlich genug für ewigen Ruhm. Doch jedem Tage folgt die Nacht, und was im Untergeschoss als Sebastianos römisches Spätwerk präsentiert wird, zeigt einen ganz anderen Maler. Einen depressiven, traumatisierten, am Sinn der Kunst überhaupt zweifelnden Künstler in der Krise. Vielleicht hatte das, was Vasari als Faulheit und Bequemlichkeit schmäht, andere Gründe.

Zunächst jedoch kam der schnelle Erfolg. Sebastiano war 1511 dem Bankier und Mäzen Agostino Chigi nach Rom gefolgt, hatte in dessen Villa am Tiberufer, der heutigen Villa Farnesina, an Deckenfresken gearbeitet und war sofort in künstlerische Konkurrenz zum dort ebenfalls beschäftigten Raffael geraten. Michelangelo, selbst großer Konkurrent Raffaels, wird auf den Neuzugang aufmerksam, wählt sich Sebastiano als Freund, um in dessen Talent für Farbe und Kolorierung Raffael auf seinem ureigenen Feld zu schlagen. Eine höchst produktive Freundschaft, vor allem für den schon immer an Körpermodellierung interessierten Sebastiano: Michelangelo fertigt Vorzeichnungen zu dessen Bildern (zwei davon sind auch in Berlin zu sehen). In manchen der athletischen Männerfiguren ist sein Einfluss erkennbar, etwa in der Geißelung Christi, in dem berühmten Bild in der Kirche San Pietro in Montorio in Rom, das in Berlin nur mit acht Vorzeichnungen vertreten ist. Michelangelesk auch der idealbildhafte tote Christus auf der spektakulären „Pietà“ aus Viterbo, die im Untergeschoss den Blickfang bildet: ein Nachtbild, wie es kaum je eins gab. Die Ruinen im Hintergrund weisen voraus.

Denn auf dem Gipfel des Ruhms, den Sebastiano spätestens seit Raffaels Tod 1520 genießt, kommt der Absturz. 1527 erlebt Sebastiano als Günstling von Clemens VII. den Sacco di Roma, die Plünderung Roms durch deutsche Truppen, ist gemeinsam mit dem Medici-Papst monatelang auf der Engelsburg eingeschlossen. Rom wird verwüstet, viele Bilder und Fresken durch die marodierenden Horden schwer beschädigt. Sebastiano hat den Schock seines Lebens weg, leidet seitdem unter Malhemmung. „Von mir ist nicht mehr viel übrig, das Universum könnte kaputtgehen, ich würde mich nicht drum kümmern“, schreibt er 1531 an Michelangelo. „Ich bin nicht mehr der alte Bastiano, der ich vor dem Sacco di Roma war, ich komme immer noch nicht wieder zu Verstand.“

Entsprechend düster gerät ihm die Kunst. Clemens VII., den er mehrfach porträtiert, immer in Seitenansicht, blickt düster und blass vor sich hin. Überhaupt verdunkelt sich die Palette, konzentriert sich die Darstellung auf Wesentliches. Keine Staffage mehr, keine Ausblicke in idyllische Landschaften, keine leuchtenden Farben. Psychostudien sind diese Porträts, sei es das Bild eines Prälaten am päpstlichen Hof oder das späte Bild des „Kreuztragenden Christus“ aus dem Prado. Doch mehr noch: Sebastiano experimentiert mit dem Trägermaterial. Früh schon hatte er, der sich in der römischen Freskotechnik nie wohlgefühlt hat, mit Öl auf Putz experimentiert. Nun malt er auf Schiefer und Stein, Marmor, Kupfer und Blei. Tonnenschwere Bildnisse entstehen, die, so die stille Hoffnung, in Ewigkeit halten werden. Hier malt einer, der im Sacco di Roma die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit auch der schönsten Kunstwerke erfahren hatte. Und dessen Werk nun in Berlin eine wunderbare Wiederauferstehung erfährt.

Gemäldegalerie Berlin, bis 28. Sept., Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do bis 22 Uhr. Katalog 38 Euro. Heute um 20 Uhr spielt das Ensemble Musica Ricercata in der Wandelhalle Musik von römischen Zeitgenossen.

Christina Tilmann

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