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Securitate: Oskar Pastior im Zwielicht

Herta Müller bewundert ihn, und sie ist enttäuscht: Oskar Pastior war Securitate-Spitzel. Pastiors handschriftliche Verpflichtungserklärung findet sich in seiner Stasi-Akte. Was folgt daraus?

Von Gregor Dotzauer

Die Nachricht ist ein Schock. Zugleich taugt sie nach allem, was derzeit bekannt ist, nicht für einen Skandal. Der rumäniendeutsche Dichter Oskar Pastior, 1927 im siebenbürgischen Hermannstadt geboren, stand vom 8. Juni 1961 bis zum Frühjahr 1968 in den Diensten des rumänischen Geheimdiensts Securitate und wurde unter dem Namen „Otto Stein“ als IM geführt. Am 26. Mai 1968, während einer Reise nach Österreich und in die Bundesrepublik, stellte er in Nürnberg offiziell den Antrag auf Asyl. 1969 zog er nach West-Berlin, wo er zuletzt 20 Jahre lang eine Wohnung in der Charlottenburger Schlüterstraße bewohnte. Er starb während der Frankfurter Buchmesse am 4. Oktober 2006, gut zwei Wochen bevor er den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung entgegennehmen sollte.

Pastiors handschriftliche Verpflichtungserklärung findet sich in seiner Stasi-Akte, die vom CNSAS, dem Nationalen Rat für das Studium der Archive der Securitate, Rumäniens Pendant zur Birthler-Behörde, verwaltet wird. Ihre Brisanz gewinnt sie nicht nur aus der literarischen Bedeutung eines um keine sprachexperimentelle Kapriole verlegenen Poeten, der seine Verstrickung selbst vor den engsten Freunden geheim hielt.

Ihre tragische Dimension erschließt sich im Kontext verwandter Fälle. Erst vor einem knappen Jahr hatte der rumäniendeutsche Dichter Werner Söllner, der zuletzt das Hessische Literaturforum in Frankfurt leitete, zugeben müssen, Anfang der Siebziger drei Jahre lang als Spitzel für die Securitate gearbeitet zu haben. Wen er damit wie belastete, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Es steht nur fest, dass Söllner an der Offenbarung fast zerbrochen ist. Welchen Druck die Securitate erzeugen konnte und welche Schuldgefühle das Paktieren mit ihr auslösen kann, hat wohl niemand sinnfälliger beschrieben als der bei Hermannstadt lebende Schriftsteller und Pfarrer Eginald Schlattner. In seinem autobiografisch geprägten Roman „Rote Handschuhe“ erzählt er, wie der in Untersuchungshaft befindliche Erzähler sogar seinen unschuldigen Bruder an die Securitate verrät.

Mit Pastior gerät nun jemand ins Zwielicht, der als Freund der letztjährigen Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die sich Anwerbungsversuchen hartnäckig widersetzte, als unverdächtig galt. Er war es auch, der sie zu dem Roman „Die Atemschaukel“ inspirierte. Was ausgehend von drei Heften Pastiors mit Notizen über seine Deportation in ein sowjetisches Arbeitslager nach Dombas begann, als Gemeinschaftsprojekt gedacht war und nach seinem Tod von ihr allein zu Ende geführt wurde, ruft nicht nach einer neuen Lesart. Doch es lässt einen Schatten auf den humanistischen Impetus des Ganzen fallen. In einer ersten Reaktion erklärte sie, sie habe „Erschrecken, auch Wut“ verspürt: „Es war eine Ohrfeige.“ Dann erst hätten Anteilnahme und Trauer die Oberhand gewonnen. Am Freitagabend fügte sie im Literaturhaus Berlin hinzu: „Ich muss mich nicht von Oskar Pastior distanzieren. Ich habe einen Menschen weiter so lieb, wie ich ihn vorher hatte.“

Unabhängig voneinander sind der Münchner Germanist Stefan Siehnert und Ernest Wichner, Leiter des Berliner Literaturhauses und stellvertretender Vorsitzender der Oskar-Pastior-Stiftung, den Verstrickungen des Dichters nachgegangen. Siehnert untersucht in der jüngsten Ausgabe der vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas herausgegebenen Zeitschrift „Spiegelungen“ (59/2010, Einzelheft 6,15 €, Bestellungen unter www.ikgs.de) auf fast 40 Seiten mit schmerzhafter Akribie, wie sich die Securitate-Schlinge um Pastior zuzog. Durch antisowjetische Gedichte über seine Lagerzeit, die er seiner 1959 verhafteten Freundin Grete Löw zur Aufbewahrung übergeben hatte, war der ästhetisch ohnehin unbotmäßige Autor ins Visier geraten. Am Beispiel Löws hatte er gesehen, was mit jemandem geschieht, der sich der Kooperation verweigert. Der Kronstädter Schriftstellerprozess im Herbst, in den auch Eginald Schlattner unselig verwickelt gewesen sein soll und bei dem eine ganze Gruppe von Autoren ins Gefängnis wanderte, tat ein Übriges, um ihn einzuschüchtern. Ernest Wichner erklärt, flankiert von einem Interview mit Herta Müller, in der „FAZ“ von diesem Samstag, wie er die Akte durchforstete. Der Ton beider Texte mag unterschiedlich sein, im Ergebnis sind sie sich einig: Nichts weist im Moment darauf hin, dass Pastior ihm besonders nahestehende Schriftsteller belastet hätte. Insofern war er für die Securitate eine Enttäuschung. Die Unschuldsvermutung in ihrer ganzen Reinheit lässt sich indes nicht aufrechterhalten – Pastiors Akte enthält einen äußerst unfreundlichen Bericht über die Bukarester Germanistin Ruth Kisch.

Der rumänische Dichter Mircea Dinescu, selbst securitategeschädigt und heute im Leitungsrat der CNSAS, will sich seine Sympathien für Pastior trotzdem nicht verleiden lassen. „Gut, dass er tot ist und seine Enttarnung nicht mehr erleben musste.“ Er hält es aber für möglich, dass Spitzelberichte fehlen, in denen es um Ausländer geht. Sie könnten beim heutigen Auslandsgeheimdienst liegen, dessen Akten grundsätzlich verschlossen sind. Auch in deutschen Archiven könnte noch etwas lagern. Pastior teilt in einer nachgelassenen Notiz mit, sich 1968 dem deutschen Geheimdienst erklärt zu haben.

Wenig spricht dafür, dass sich Pastior doch noch als großer Schurke entpuppen könnte. Sein konstruktivistischer Geist könnte aber – wie seine ganz als Spiel angelegte Literatur – als Flucht aus einem Labyrinth aus Argwohn, Missgunst und Denunziation erscheinen, dessen Gewalt geeignet war, auch die schönsten Seelen zu korrumpieren.

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