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Kultur: Seele des Orchesters

Christiane Peitz über Simon Rattle und seine Feinde

Kampagnen sind etwas Unangenehmes. Der schrille Ton verzerrt die Wahrheit. So ist es auch bei der Anti-Rattle-Kampagne, die die Musiknation ereilt. „Noch dirigiert Sir Simon Rattle die Berliner Philharmoniker. Daniel Barenboim und Christian Thielemann möchten ihn ablösen“, stand gerade in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. In der Mai-Ausgabe der „Park Avenue“ erläutert der Musikjournalist Axel Brüggemann, „warum der Stardirigent in Berlin gescheitert ist“. Dem Orchester sei sein Markenzeichen abhanden gekommen, sein „Seelen suchender romantischer Ton“. Auch andere Medien schwenken auf diese Linie ein. Wobei der „FAS“-Text ebenfalls von Axel Brüggemann stammt, hinter dem Pseudonym Fabian Bremer verbirgt sich seine Autorenschaft – die er dem Tagesspiegel weder bestätigen noch dementieren wollte.

Simon Rattle, der seit seinem Amtsantritt gefeierte Nachfolger von Claudio Abbado, soll offenbar vom Pult gestoßen werden. Ungeachtet der Tatsache, dass die letzten Rattle-Konzerte, „Pelleas“ zum Beispiel, zum Aufregendsten zählen, was in dieser Saison an Klassik zu hören war. Ungeachtet der Tatsache auch, dass das Orchester sich mit seinem Dirigenten mitnichten überworfen hat, sondern „geschlossen“ hinter Rattle steht und am Vertrag (bis 2012) nicht zu rütteln gedenkt, wie der Orchestervorstand bestätigte. Barenboim und Thielemann scharren keineswegs mit den Hufen. Und ungeachtet des Publikums: Es läuft nicht etwa in Scharen davon, sondern sorgte für eine Auslastungssteigerung von 97 auf 99 Prozent.

Klar, es gibt ästhetische Fragen: Rattle hat den Orchesterklang verjüngt und das Repertoire erweitert, von Bach bis zum Neutöner Mark-Anthony Turnage. Werkstatt Philharmonie: Nicht jedes Experiment gelingt da auf Anhieb. Aber lebendiges Musizieren ist mehr als Konzertbetriebsamkeit, mehr als Traditionspflege. Über solche Fragen zu diskutieren, gehört zur Kultur eines Weltklasse-Orchesters. Aber es muss offen geschehen.

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