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Kultur: Seelenlandschaft und Wolkenatlas

Aus dem Fenster gefilmt: Thomas Imbachs „Day is Done“ ist ein magisch-suggestiver Trip.

Nie ist er da. Auf dem Anrufbeantworter beklagen sich die Freunde, die Familie, die Lebensgefährtin, die Mutter seines Kindes, sie fragen amüsiert bis verärgert nach ihm oder geben Sprüche zum Besten: „Hast du alle Tassen im Schrank, arbeiten sie noch?“, oder: „Hier ist die Müttervereinigung im Windelacker“. Der Regisseur ist der große Abwesende in dieser „fiktiven Autobiografie“, wie Thomas Imbach seinen Essayfilm nennt.

Am Anfang von „Day is Done“ gerät der Schweizer Filmemacher kurz ins Bild, als er die 35-Millimeter-Kamera vor seinem Atelierfenster einrichtet. 15 Jahre lang wird er mit der Kamera den Blick auf das Züricher Güterbahnhofsgelände festhalten (von 1995 bis 2010), auf einen rauchenden Schlot in der Bildmitte, auf Schäfchenwolken und Kumulusgebirge, auf Schrotthändler und Kinder, Passanten und Paraden, Sonne, Mond und tanzenden Schnee. 15 Jahre lang hat Imbach („Happiness is a Warm Gun“) außerdem die Nachrichten auf seinem Aunrufbeantworter gesammelt, von 1988 bis 2003, und nun eine Fensterblick- und Nachrichtenauswahl zur imaginären Chronik der eigenen Existenz montiert. Manchmal kommt Kunst von Geduld.

Nachtaufnahmen, Tagträume, Seelenlandschaft mit Wolkenatlas. Zeitlupe, Zeitraffer, Kursbuch der Vergänglichkeit: Am Ende rückt neben den alten Schlot der Neubau des schicken City Towers in den Fokus. Aber es geht nicht einfach darum, wie die Zeiten sich ändern. Vielleicht liegt es daran, wie Imbach den Himmel zu filmen vermag, den Lichtkegel der Straßenlampen im Regen, die durchs Blickfeld rasenden Züge. Vielleicht liegt es am Nebeneinander von Bild und Ton, an den unterlegten, atmosphärisch dichten Sounds. Oder an den zwölf von George Vaine vorgetragenen Coverversionen von Dylan bis Conor Oberst, dass „Day is Done“ zur magisch-suggestiven Reise wird, zur Expedition ins Innerste einer Biografie.

Weil Bild und Ton unvermittelt bleiben, hört man anders zu, sieht man genauer hin. Erst die Nachricht vom Tod des Vaters, viel später der Motorradunfall draußen vor den Lagerhallen. Die Großmutter meldet sich, die Freundin will ihn noch sehen, der kleine Sohn plappert drauflos, Freunde, Geliebte, Kollegen und Fernseh-Redakteure hinterlassen Grüße. Die Liebe scheitert, der Sohn vermisst ihn – und draußen vor den Lagerhallen gehen die Menschen ihres Wegs. Rasender Stillstand der Jahreszeiten: Jeden Tag durchquert eine junge Frau das Bild, holt Zeitung und Post, kehrt wieder zurück – so huldigt die Kamera einer unbekannten Schönen. Und am Horizont steigen Flugzeuge auf.

Mein Leben ohne mich: Der abwesende Filmemacher kommt dabei oft gar nicht gut weg. Seine Ehrlichkeit entwaffnet auch den Zuschauer.

In den Berliner Kinos Acud, Arsenal, fsk (alle OmU)

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