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SEHEN: Es war einmal

Nicht, dass wir nicht ständig Märchen erzählt bekämen – in Politiker-Statements, Talkshows und durchaus auch auf der einen oder anderen Erwachsenen-Theaterbühne. Von diesen auf uns einprasselnden Fiktionen soll hier allerdings ausnahmsweise mal nicht die Rede sein.

Nicht, dass wir nicht ständig Märchen erzählt bekämen – in Politiker-Statements, Talkshows und durchaus auch auf der einen oder anderen Erwachsenen-Theaterbühne. Von diesen auf uns einprasselnden Fiktionen soll hier allerdings ausnahmsweise mal nicht die Rede sein. Sondern es geht um die urtümlichen, sprich: die Genre-korrekten Märchen, auf die die Lust – proportional zur wachsenden Düsternis der November- und Dezemberabende – ja bekanntlich freiwillig wächst.

Die Saisonspielpläne der Theater kommen diesem Bedürfnis vorbildlich entgegen. Der Berliner Wintermärchenmarkt präsentiert sich ähnlich ausdifferenziert wie das Weihnachtsmarktaufkommen: kein Kiez ohne eigenen Andersen, Hauff oder die Brüder Grimm! Und auch ästhetisch ist vom Großevent übers solide Kunsthandwerk bis zur minimalistischen Lesung alles zu haben.

Während die ganz heiße Märchen-Phase in vielen Häusern erst Mitte, Ende November beginnt, kann man die Saison mit der Jungen Staatsoper in der Werkstatt des Schiller-Theaters bereits am Wochenende (Fr 11 Uhr, Sa 11/15 Uhr) würdig einläuten: Junge Sängerinnen und Musiker der Staatskapelle Berlin rollen – letztmalig in dieser Spielzeit – die Story von Aschenputtel zeitgemäß auf, das wohlverdient vom benachteiligten Kind zur Edelprinzessin aufsteigt.

Damit liegt das Haus voll im Trend. Denn kurz darauf zieht das Puppentheater Schaubude mit einem Märchen nach, das sich dezidiert und nicht unkritisch dem sozialen Aufstiegswillen widmet: Die Story vom kauzigen Rumpelstilzchen (19.–21.11., 10 Uhr, 23./24.11., 15 Uhr) kommt ja nur deshalb in Gang, weil ein geltungssüchtiger Müller dem König weismachen will, seine Tochter könne Stroh zu Gold spinnen. Wie sie aus dieser Nummer wieder herauskommt, wenn sie dann mutterseelenallein im Schloss vor den Strohballen hockt, ist für den Vater leider ziemlich zweitrangig: Da muss das titelgebende Rumpelstilzchen ran, das die aussichtslose Lage seines Opfers in rein kapitalistischer Manier zu eindeutig überspitzten Forderungen nutzt.

Auch das Theater an der Parkaue hat ein veritables Aufstiegsmärchen im Programm: Der finanziell nicht eben verwöhnte Kay erliegt den Verführungen einer coolen, infolge nachhaltiger Schockgefrorenheit garantiert faltenfreien Monarchin, die nicht ohne Grund auf den Namen Schneekönigin (20.11., 11 Uhr, 21.11., 10 Uhr) hört: Am Lichtenberger Kinder- und Jugendtheater dauert es gefühlte zehn magische Minuten, bis die androgyne Schönheit aus der Feder Hans Christian Andersens mit ihrem weißen Endlos-Kleid zur Fünf-Meter-Statue ausgewachsen ist, um in angemessener Coolness auf ihre Opfer herunterblicken zu können. „Die Schneekönigin“ hat übrigens allerbeste Tradition im Theater an der Parkaue: Susanne Sachsses Inszenierung, in der neben der queeren Titel-Beauty auch ein halbseidener bocksfüßiger Zwerg, Kunstblumen mit überdurchschnittlichem IQ oder ein wunderbar schrulliges Königspaar mitspielen, ist bereits die achte Variante am Haus: Seit 1957 – damals hieß die erste reine Kinder- und Jugendbühne Berlins noch „Theater der Freundschaft“ – steht das Märchen auf dem Spielplan.

Die Sache mit dem sozialen Aufstiegsdrang scheint also gerade zur besinnlichen Winterzeit dringlicher zu sein, als uns lieb ist: Auch am Maxim Gorki Theater bricht pünktlich zum ersten Adventswochenende Der kleine Muck zur Schatzsuche auf. Vielleicht sollten wir zum Ausgleich am heimeligen Ofen auch mal ganz eigeninitiativ in die Erbauungstory vom grundzufriedenen „Hans im Glück“ hineinschauen!

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