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SEHEN: Papi macht Performance

Kaum ein Sozialphänomen darf als so intensiv beäugt, durchdekliniert und bespöttelt gelten wie die „Latte-Macchiato-Mutter“: Das Biotop der Milchschaum schlürfenden Enddreißigerin mit der linken Hand am Edelkinderwagen beschränkt sich bekanntlich längst nicht mehr auf den Prenzlauer Berg. Nun tut uns die Berliner Kiezrealität rechtzeitig, da Witze über diese Spezies wirklich unendliche Bärte bekommen haben, den Gefallen, einen frischen familiensoziologischen Typus aufzufahren.

Kaum ein Sozialphänomen darf als so intensiv beäugt, durchdekliniert und bespöttelt gelten wie die „Latte-Macchiato-Mutter“: Das Biotop der Milchschaum schlürfenden Enddreißigerin mit der linken Hand am Edelkinderwagen beschränkt sich bekanntlich längst nicht mehr auf den Prenzlauer Berg. Nun tut uns die Berliner Kiezrealität rechtzeitig, da Witze über diese Spezies wirklich unendliche Bärte bekommen haben, den Gefallen, einen frischen familiensoziologischen Typus aufzufahren. Es handelt sich um den Papi-Performer.

Der Papi-Performer ist gemeinhin intelligent, trägt gern – mehr oder weniger geschickt – die Macher-Insignien einer sogenannten Führungsfigur vor sich her und weiß daher, dass die „gute Performance“ nicht nur in Karrierekontexten als basales Merkmal intakter Männlichkeit gilt: Von den (Außen-)Darstellungsambitionen des Papi-Performers könnte sich der eine oder andere Berliner Schauspielprofi durchaus noch eine Scheibe abschneiden.

Einer der begabtesten Repräsentanten dieser Art lag am Sonntag an einem Randberliner Badesee 50 Meter von mir entfernt und achtete vorbildlich darauf, selbst in doppelter Rufweite noch lautverlustfrei vernehmbar zu sein: „Na, da will die Anna-Theresa wohl mit dem Papi eine Sandburg bauen?“, redete der Mittfünfziger manisch auf ein Kind mit breiter Sonnenhutkrempe ein, das augenscheinlich nicht wollte und zunächst ganz friedlich zu seinen Füßen hockte, sich mit zunehmendem väterlichen Stimmvolumen jedoch tiefer in seinen Bademantel verkroch: DT-Zuschauer hätten vermutlich noch im zweiten Rang einen Hörsturz riskiert. Der ambitionierte Papi-Performer aber schien wesentlich größere Auditorien gewohnt zu sein und fuhr stimmgewaltig fort: „Na, da baut der Papa mit der Anna-Theresa eine schöne Sandburg!“

Tatsächlich tut sich in der ambitionierten Papi-Performance völlig neues Zielgruppen-Potenzial auf: Nicht nur Hörgeschädigte, sondern auch extrem konzentrationsschwache RezipientInnen haben hier die Chance, dem Geschehen mühelos zu folgen und sich nebenbei sogar noch Kreuzworträtseln zu widmen. Bei der ehrgeizigen Vaterrollen-Präsentation kann man sich voll und ganz darauf verlassen, dass wirklich jeder Zwischenschritt – möge er dem schnöden Laien auch noch so nebensächlich erscheinen – zuverlässig mehrmals erklärt wird: „Da holt der Papa der Anna-Theresa mal das Schäufelchen“, ruft das Stimmphänomen seinem Kind jetzt von der zwei Schritte entfernten Badetasche aus entgegen, um anschließend – eine Oktave höher – in unbeirrter Redundanz: „Hier kommt der Papa mit dem Schäufelchen“ zu schmettern.

Dass ausgerechnet die Adressatin die Papi-Performance nicht gebührend zu schätzen weiß, ist sicher ein tragischer Ausnahmefall: Bei der dritten Wiederholung von „Da ist der Papa mit dem Schäufelchen“ hat sich Anna-Theresa vollständig unter dem Strandlaken verkrochen.

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