zum Hauptinhalt

Kultur: Sehen, wie der Punk abgeht

Marie Bäumer im Gespräch über Intimität, ihre Generation und das Rauchen

Frau Bäumer, Sie haben da einen ziemlich heftigen Film gedreht…

Sie meinen die Sexszenen? Dabei waren meine ja gar nicht die freizügigsten. Am meisten zeige ich schon, als ich mit dem nackten Hintern zur Kamera stehe. Ich bin keine Exhibitionistin . Es ist mir nie angenehm, vor der Kamera nackt herumzuspazieren, und bei solchen Szenen frage ich genau nach, ob sie notwendig sind für die Geschichte. Hier war es so. Ich ärgere mich immer, wenn im Film die Leute unter einer Decke aufeinander herum rammeln – und dann steigt die Frau so aus dem Bett, dass man nicht mal ihre Brüste sieht. Wenn da der Punk abgeht, will ich das auch sehen. Als Zuschauer will man ja auch nur die Wahrheit wissen und sich selbst in Beziehungen wiedererkennen.

Die Beziehung der FilmMarie mit ihrem Robert ist aber ziemlich verquer. Robert hat Angst vor Nähe und vor deren Verlust, was zu ziemlich finsteren Szenen führt…

Zu realistischen Szenen. Mir kann keiner jenseits von 30 erzählen, dass bei ihm Auseinandersetzungen noch nie dieses Ausmaß an Intensität entwickeln haben. Dass er nicht mal irgendwann eine Tür eingetreten hat. Je näher man Menschen kommt, desto heftiger die Konfrontationen.

Nur, weil’s im Bett nicht mehr klappt?

Ich glaube, dass es in unserer Generation ein großes Maß an Autofokussierung gibt, mangels größerer Probleme. Unter diesem Mikroskop gewinnt alles eine überlebenswichtige Bedeutung, auch der Sex. Ich finde meine Generation im Moment schon ziemlich abenteuerlich. Die Menschen vereinsamen. Viele leben allein in riesigen Wohnungen und könnten sich durchaus eine Familie leisten. Aber sie finden sich nicht. Es geht aber nicht nur um Partnerschaften, sondern auch um Freundschaften. Singles treffen belanglose Verabredungen für ein paar Stunden und sind dann wieder allein mit sich. Das Vermögen, eine Beziehung zu leben, lernt man so nicht.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Wir haben keine Antwort auf die Frage, wie kann ich meine Probleme lösen? Mit einer Therapie? Mit Buddhismus? Und wir haben auch nichts, was uns Antworten geben könnte, haben keine Anbindung mehr an eine Mythologie, an einen Glauben, an eine wie auch immer geartete Tradition.

Sie wirken aber gar nicht haltlos. Hängt das zusammen mit der Kindheit im gutbürgerlichen Hamburg-Blankenese?

Die war recht stabil, das stimmt schon – zumindest bis ich neun war. Dann fing alles an zu wackeln, weil es meinen Eltern zusammen nicht mehr gut ging; sie haben sich aber erst scheiden lassen, als ich 23 war. Und es war ein sehr offenes Elternhaus. Meine Eltern haben noch einen Schlag Achtundsechziger mitgekriegt, haben Selbsterfahrungstrips und Therapien gemacht und so ein Zeug. Meine Schwester und ich hatten viel Raum, uns auszuprobieren.

Sind Sie ein Familienmensch?

Ja. Und ich glaube an ein paar ganz archaische Dinge. Ich sage bewusst nicht konventionell oder konservativ, sondern archaisch. Die Familien-Grundstruktur zum Beispiel. Es macht Sinn, dass der Vater ein Vater ist und die Mutter eine Mutter und dass beide da sind. Mein Sohn Shawn geht auf die sechs zu, und jetzt beginnt es, dass sein Vater für ihn besondere Bedeutung gewinnt. Dass der Vater den Sohn, im übertragenen Sinn, mit hinaus nimmt zur Jagd und ihm das Leben zeigt. Auch wenn wir irgendwann mit eingepflanzten Chips herumlaufen, wird sich das immer wieder durchsetzen. (drückt die x-te Zigarette aus)

Sie rauchen aber viel heute.

Dabei hatte ich schon aufgehört. Früher hab ich mir nämlich die Lunge aus dem Leib geraucht. Nächste Woche ist aber wirklich Schluss. Nächste Frage.

Intimität wird im Film sehr provokant definiert. In einer Szene beschmieren Marie und Robert sich gegenseitig mit Spucke, und Marie kreischt plötzlich „huch, ich hab gepupst". Das ist doch irgendwie, hm …

Entschuldigung! Das ist das wahre Leben. Diese Szene haben ich und André Hennicke uns selbst ausgedacht. Wir brauchten einen Moment, der eine große Innigkeit zeigt. Absolute Nähe, die ohne Scham ist.

Es soll ja Leute geben, die verlieren schon den Respekt voreinander, wenn sie den Partner beim Zehennägelschneiden ertappen.

Das ist ja albern.

Wie definieren Sie denn Intimität?

Das ist etwas Instinktives. Ein natürlicher Radius, den ich sofort spüre, wenn ich Menschen kennen lerne. Manchmal reicht schon ein Zentimeter, und ich denke, uuuh, der ist mir jetzt zu nah. Intimität kann man sich nicht angewöhnen. Sie ist da. Oder nicht. Wie ein Geruch, wie eine Schwingung.

Das Gespräch führten Deike Diening und Christine-Felice Röhrs

-

Zur Startseite