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Kultur: Sehnsucht nach der neuen Welt

Die englische Provinz in Zeiten des Krieges: Francis Wyndhams Roman „Der andere Garten“

Dies ist kein großes Buch. Aber unter den vielen kleinen ist es eines der allerschönsten. Ein sehr britisches Buch, mit jener Behutsamkeit geschrieben, die die Engländer, wenn sie sich selber meinen, Understatement nennen. Und die, wenn es um andere geht, Zeichen der Scheu ist, so zu tun, als könne man über seine Mitmenschen mehr sagen als irgendwelche Vorurteile. Wie die über Engländer zum Beispiel.

Der 86-jährige Francis Wyndham, der nach wie vor in seiner Geburtsstadt London lebt, war Literaturkritiker und Verlagslektor und hat neben diesem Roman, der 1987 erschien, zwei Bände mit Erzählungen veröffentlicht, die man jetzt gern auch auf Deutsch lesen möchte. In einem Dorf in Whiltshire aufgewachsen, zog man ihn nach einem Jahr Oxford 1942 zum Militärdienst ein, aus dem er allerdings, ehe er an die Front geschickt werden konnte, wegen Tuberkulose wieder entlassen wurde.

Eben das ist auch die Geschichte jenes namenlosen jungen Mannes, der in diesem Roman von seinem Zuhause erzählt, von den Menschen, die seine Eltern besuchen, und von denen, die er selbst besucht – allesamt keine aufregenden Romanfiguren. Man trifft sich zum Tee, unterhält sich, und das gern über andere und voller Vorurteile, und man beobachtet sich gegenseitig. Während auf dem Kontinent und bald auf der Insel der Krieg alles zu beherrschen scheint, geht das kleine Leben auf dem Lande fast so weiter, als wäre nichts. Da bekommen dann auch Nebensächlichkeiten einen Auftritt, als wären sie in dem Augenblick noch wichtig gewesen, in dem man sie gerade wieder vergisst.

Wyndham versteht es, mit unauffälligem Geschick, den Krieg, so gut es geht, fern zu halten und doch seinen Dorfleuten ihr Recht auf Katastrophen nicht zu verweigern. Dort, in die englische Provinz, reichen nicht einmal Görings Flieger hin, jenes Göring, den der eine von ihnen für einen „geborenen Gentleman“ hält und der andere immerhin für einen „verdammt guten Jäger“. Der junge Erzähler jedoch ahnt, was der Krieg bedeutet „mit seiner quälenden Todesdrohung und seiner noch furchterregenderen Forderung, intensiver zu leben.“

Nicht der Krieg jedoch rückt immer mehr in den Mittelpunkt dieser Geschichte, sondern Kay, die weit über dreißigjährige Tochter der Nachbarn, die wieder bei ihren Eltern lebt, die sie nicht lieben und ihr das immer wieder zeigen. Ihre Männergeschichten, ob wahr oder nicht, passen nicht ins Dorf, das vom „intensiven Leben“ so gar nichts wissen will und das allen auszutreiben versucht, die sich nicht rechtzeitig davonmachen.

Oder die die Tuberkulose herausholt, aber nur, um sie in ein Erholungsheim zu verfrachten, wo die falsche Lustigkeit der Insassen wie eine Karikatur wirkt. Dass jene Kay schließlich ihre ganze Liebe einem Hund schenkt, könnte am Ende wie eine Karikatur ihrer Möglichkeiten wirken und all dessen, was man ihr gewünscht hat, als man sie zu Beginn beobachtete, wie sie sich zum Sonnen die Bluse auszieht. Aber es zerreißt einem vielmehr das Herz mitzuerleben, wie sie selber zu ahnen beginnt, dass sie lange schon zu schwach war, der Aussichtslosigkeit ihres Dahinlebens zu entkommen, und zu ernst, sich etwas anderes vorzumachen.

Wie leicht könnte eine solche Geschichte ins Sentimentale abrutschen! Wie leicht wäre es, jedes Versagen mit dem Krieg zu entschuldigen, wie leicht auch, mit erhobenem Zeigefinger zu predigen: Mach was aus dir. Nichts davon findet sich hier. Vielmehr lässt Wyndham dem Leben anderer in jedem Moment sein Recht oder jedenfalls seinen Verlauf und erzeugt ein tiefes Einverständnis.

„Der andere Garten“ ist jener kleine, etwas altmodische Garten auf der anderen Straßenseite, der zu dem Haus der Familie des Erzählers gehört und wohin sich sein Vater, wenn er mittags von der Arbeit kommt, gern eine Weile zurückzieht, um ein wenig für sich zu sein. Oder wenn nicht „für sich“, dann doch in einer Welt, die all das verkörpert, was man aufgeben muss, wenn man zum Mittagessen gerufen wird. Oder ist die Vorstellung von dieser anderen Welt auch nur so etwas wie ein Vorurteil?

Dass Wyndham selbst kein Dörfler ist, gibt er mit aparten Hinweisen auf Modezeitschriften, Bücher und Filme jener Zeit zu erkennen. Wenn es um die Verschiedenheit von Jean Harlow und Joan Crawford geht, zeigt er sich sophisticated genug für seine Londoner Kollegen, ganz zu schweigen von der scheinbaren Gemütlichkeit eines Schwulenclubs in Chelsea, den er mit genussvollen Strichen skizziert. Weswegen es auch irritiert, wenn in der sonst sehr flüssigen Übersetzung von Andrea Ott auf einmal Ausdrücke wie „Mensch Meier“ oder „Trantüte“ auftauchen. Francis Wyndham ist ein feiner Stilist und gerechter Menschenkenner, und es ist eine Freude, ihm dabei zuzuschauen, wie er beides in einer bewegenden Erzählung zusammenbringt.

Francis Wyndham: Der andere Garten.

Roman. Aus dem

Englischen von

Andrea Ott.

Dörlemann Verlag,

Zürich 2010.

190 Seiten, 18,90 €.

Jochen Jung

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