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Kultur: Seine Fragen sind die Antwort

Seinen Platz auf der Bühne der Podiumsdebatten, Talkrunden, Meinungsäußerungen hat er sicher. Aber welcher Platz ist es?

Seinen Platz auf der Bühne der Podiumsdebatten, Talkrunden, Meinungsäußerungen hat er sicher. Aber welcher Platz ist es? Bei den meisten Teilnehmern des politischpublizistischen Turnierbetriebs weiß man ja, wofür sie stehen, aberbei Arnulf Baring ist das anders. Ist er ein Mann der moralischpolitischen Aufrüstung? Ist er gar rechts?.

Baring selbst würde sich von solchen Zuweisungen nicht getroffen fühlen. Er ist in einer entwaffnenden Art und Weise überzeugt davon, sich in der Mitte zu befinden - in einem selbstverständlichen Bund mit dieser Republik und den sie tragenden Kräften. Und in gewisser Weise ist das wohl auch so. Als Zeithistoriker und Publizist ist er ja Stoff vom Stoffe dieser Nachkriegsgeschichte. Er gehört in die Phalanx jener demokratisch erweckten Professoren, der Dahrendorf, Sontheimer, Schwarz, ohne die das politische Leben der Bundesrepublik ärmer wäre.

Sein Selbstverständnis prägt noch die Berührung mit dem Krieg; kaum einer hat den Einbruch der "Stunde Null", die plötzliche Stille, das Bewusstsein des geschenkten neuen Anfangs, so eindrucksvoll in Worte gefasst wie Baring, der kurz zuvor im Inferno seiner Geburtsstadt Dresden, imFebruar 1945, knapp dem Tode entgangen war. Vor allem aber ist es das Resultat der Öffnung der Welt, die die Nachkriegszeit für einen begabten jungen Mann bereit hielt: amerikanische Studiensemester, Frankreich-Stipendium, später Kissingers berühmtes Harvard-Seminar. Der studierte Jurist wechselte erst in den Journalismus (zum WDR), dann zur Politikwissenschaft, habilitierte sich glänzend und bekam gar den Lehrstuhl des berühmten Ernst Fraenkel an der Freien Universität Berlin.

Damals war er genau der junge Intellektuelle, der zu dieser Zeit passte: die leichte, aber garantiert staatsloyale Unzufriedenheit eingeschlossen. Dass er 1962 zum ersten Mal eine breitere Öffentlichkeit mit einem Aufsatz erreichte, der "Patriotische Fragezeichen" hieß, wird Barings Freunden und Kritikern ein Gefühl vergnügter Bestätigung entlocken. Hat er denn nicht sein Leben lang patriotische Fragezeichen geschrieben? Genauso gut kann man, ganz im Gegenteil, einen erstaunlichen Marsch durch das ganze politische Spektrum konstatieren. Damals befand sich Baring, noch SPD-Mitglied, deutschlandpolitisch ganz auf der linken Seite - Wandel durch Annäherung hieß das später. Inzwischen plädiert er für eine neue Nationalbewegung und verblüfft seine Zuhörer am Ende seiner Vorträge gelegentlich mit einem mutig ausgebrachten: Es lebe Deutschland!

Es ist unschwer erkennbar, was den Anstoß für diesen Transfer gegeben hat. Baring ist ein Resultat der Rebellion von 1968. Er sieht die 68er als die Gegen-Generation zu der seinen, und - als die Verderber jener Nachkriegswelt, die seine und der Republik Jugendtage geprägt hat. Seine Generation, "eine Zwischengeneration", solle, so hat er mit der ihm eigenen unbefangenen Direktheit bekannt, "vor ihrem Verschwinden dazu beitragen, das Bild Deutschlands und der Deutschen zurechtzurücken, das die 68er verzerrt haben". Und dann die ins Kanzelwort einbiegende Schlussfolgerung: "Wir sollten unseren Landsleuten helfen, ihren Frieden mit sich selbst zu machen."

Aber Barings Wandlungen haben auch mit einem tieferen Unbehagen zu tun. Das hat vor allem die Wiedervereinigung an den Tag gebracht. Seit der Wende geht er mit den Deutschen fortwährend ins Gericht. Er glaubt, sie seien der neuen Situation nicht gewachsen, und allemal sieht man ihn beschwörend, klagend, aufrufend die Hände erheben. "Deutschland, was nun?", "Scheitert Deutschland?" heißen nun die Buchtitel. Dabei wird der Zeithistoriker Baring vom Furioso seiner Publizistik keineswegs verdrängt. Der Prediger ist identisch mit dem eindringlichen Geschichtsschreiber, der diese Republik von der Adenauer-Zeit bis zur sozialliberalen Wende, dem "Machtwechsel" - so der Titel seines erfolgreichsten Buches -, beschreibend und urteilend begleitet hat. Aber die Verschiebung seiner Leidenschaft ins Nationalpädagogische ist unübersehbar. Baring hat diese Grenzüberschreitung auch nie bemäntelt, sondern sich, im Gegenteil, fröhlich dazu bekannt. Er ist Professor in dem Wortsinn des Bekenners. Er ist es auch als Lehrer, und das in einer heute im Universitätsbetrieb ungewöhnlich intensiven Weise. Da wirken sich zwei Tugenden glücklich aus: ein hohes Maß an pädagogischem Eros und die Gabe der Herzlichkeit. Dafür zeugt die Vielzahl seiner Schüler.

Die Ansichten und Überzeugungen, die Baring zu einem der gefragtesten Debatten-Streiter dieser Republik werden ließen, haben - das kann nicht verschwiegen werden - viele seiner Weggefährten auch verunsichert. Aber wenn, nach dem bekannten Diktum, der Stil der Mensch ist, dann ist dieser sich doch erstaunlichgleichgeblieben: Rede und Schreibe kommen in dem gleichen Duktus daher - immer leicht erregt, sozusagen Schaumkronen treibend, mehr fragend als Antwort gebend. Auch die große Anstrengung, die er den Deutschen abfordert, die neue Lage, die sie nicht realisiert hätten, bleiben ja zumeist im Ungefähren. So drängt sich der Eindruck auf, dass die großen Formeln vor allem das Vehikel sind für das Gemeinschaftsbildende, Identitätschaffende, das Baring in der Bundesrepublik von heute vermisst. Und damit die Botschaft auch wirklich ankommt, spickt er seine Reden und Aufsätze immer wieder mit einem demonstrativen "wir" oder mit einem patriarchalisch getönten "unsere Landsleuten".

Baring, der heute 70 Jahre alt wird, bleibt ein eigentümlicher, einnehmender und manchmal auch irritierender Kopf dieser Republik. Der immer wieder auch für reaktionäre Querschüsse gut ist; sein überraschender Einspruch gegen die Vereinigung von Berlin und Brandenburg war ein Beispiel dafür. Aber rechts, deutschnational? Eher ein Wanderprediger mit leicht evangelikalen Zügen. Er hat schon einen vertrackten Charme. Sollte man ihn nicht konservativ nennen? Selbstverständlich mit patriotischen Ausrufezeichen.

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