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Entertainer. Donald Trump.

© Evan Vucci/dpa

Seine Tweets waren unser Stoff: Warum wir alle süchtig nach Trump waren

Donald Trump zog die Medien in Bann wie kaum ein US-Präsident. Er war Dealer und Droge zugleich. Kommen wir jetzt von ihm los? Die Kolumne Spiegelstrich.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer. In seiner wöchentlichen Kolumne „Spiegelstrich“ betrachtet er das Verhältnis von Sprache und Politik.

Waren oder sind Sie trumpsüchtig, verehrte Leserin und ebenso verehrter Leser, spüren Sie bereits, dass Sie den nächsten Tweet brauchen?

Doch der Mann macht sich rar. In den ersten 18 Tagen nach der Wahl sprach er öffentlich nur noch 8143 Wörter (in seinem Fall kann man nicht „Worte“ sagen, was Sinn implizierte), was ganze 454 Wörter pro Tag ergab – vor der Wahl hingegen hatte er 8398 Wörter pro Tag gesprochen und in den letzten 24 Stunden des Wahlkampfes 55 000.

Wenn ich mich zu Beginn des Textes ganz enorm kritisch selbst befrage, dann muss ich entschlossen antworten: Nö, ich bin nicht trumpsüchtig. Ich habe es geschafft, mich in den vergangenen vier Jahren für das Grundsätzliche und vor allem das Historische zu interessieren, dafür, warum die USA so selbstzerstörerisch werden und dann entgleisen konnten.

Über 20 000 dokumentierte Lügen sind an mir vorbeigezogen und blieben banal. Dass Donald Trump hingegen Medien zu Volksfeinden erklärte, ein korrupter Präsident war, Diktatoren verehrte, Demokratien verspottete, die Pandemie leugnete, das Militär im Landesinnern gegen das eigene Volk einsetzte und Wahlen nicht akzeptierte, das war mir wichtig, und es war wichtig, sich daran nicht zu gewöhnen, da Trumps USA Vorbild für viele Ungarns und Brasiliens dieser Welt sind.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Wenn ich mich allerdings kurz vor der Mitte dieses Textes ein zweites Mal befrage, nunmehr gar selbstkritisch, dann … ja, aber … äh, nun … vielleicht also bin ich doch ein ganz klein wenig trumpsüchtig. Immerhin folge ich ihm noch immer auf Twitter und lasse ihn täglich mein Hirn besetzen.

Ich staune immer noch: Das tut er, so dreist ist er? Nach all den Jahren wundere ich mich weiterhin über sein Gesichtsorange und die unsportlichsten Bewegungen, die ich je auf Fotos von Golfspielern gesehen habe.

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Ich lese sogar Texte, in denen es bloß darum geht, wie schwer es Trumps Töchterchen und Trumps Schwiegersöhnchen fallen wird, zurück nach New York zu ziehen. Und ich lese über Trumps Pläne, 2024 erneut anzutreten, glaube keine Sekunde daran, denke aber stundenlang darüber nach, und wenn ich damit fertig bin, dann lese ich, dass Trumps Anwalt Rudy Giuliani das Haarfärbemittel ins schwitzende Gesicht gelaufen ist, und sofort sehe ich mir das Video an.

Ja, verdammt, Diagnose: Trumpsucht.

Die Trump-Show trivialisierte die Wirklichkeit

Das ist mein Fehler, und das ist seine Leistung. Der Mann hat es geschafft, dass Amerikas Medien jede Nachricht auf Donald Trump bezogen; und dass wir (alle?) auf ihn starrten und auf ihn hörten. Trump war Droge und Dealer zugleich, doch wir haben ihn groß gemacht, wir Medienmenschen. Denn wir haben diese globale Serie namens „Trump“ verfasst und standen gaffend da, wenn die nächste Episode lief.

Es funktionierte: Trump sorgte für Quote, und jetzt „ist er immer noch in unseren Venen, nicht wahr“, schreibt John Harris in Politico. Die Trump-Show mobilisierte sämtliche Flügel der Demokraten, trivialisierte die gesellschaftliche Wirklichkeit, personalisierte strukturelle Fragen, reduzierte die gesamte Weltlage auf eine Figur.

Immerhin, der Kerl bleibt für schöne Witze gut: „Lame Duck pardons Turkey“, schrieb die „Washington Post“ vor Thanksgiving über den Abgewählten; lahme Ente begnadigt einen Truthahn.

„Turkey“ hat noch weitere Bedeutungen: „Turkey“ ist ein seltsames Land in Europa, ist auch ein Wort aus der Drogenwelt. Können wir loslassen? Können wir aus vier irren Jahren etwas lernen? Es wird sich jetzt zeigen, es ist so weit: Cold Turkey – der kalte Entzug beginnt.

Klaus Brinkbäumer

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