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Kultur: Selbstgespräch eines Idioten Patricio Prons Roman über Väter und Söhne

Der Vater ging immer allein zum Auto. Setzte sich hinein, startete den Motor.

Der Vater ging immer allein zum Auto. Setzte sich hinein, startete den Motor. Erst dann durfte die Familie nachkommen. „Ich habe das nie verstanden“, sagt der Ich-Erzähler später, viel später. Die Schwester schaut ihn an, als sei er nicht ganz richtig im Kopf. „Damals“, so sagt sie dann, „wurden Journalisten ermordet, man legte ihnen Bomben ins Auto.“ Der Vater riskierte also jedes Mal sein Leben, um die anderen zu schützen. Es ist die Zeit der argentinischen Militärdiktatur, und der Erzähler in Patricio Prons Debütroman rekonstruiert nicht nur seine Erinnerungen, sondern einen ganzen historischen Abschnitt in winzigen Partikeln, in Wiederholungsschleifen, nicht geordnet, nicht chronologisch.

In der reinen Nacherzählung erscheint „Der Geist meiner Väter steigt im Regen auf“ als konventionell gebautes Buch: Weil sein Vater erkrankt ist, reist 2008 ein junger Mann von Göttingen, wo er acht Jahre an der Universität war, als Student und Lehrender, zurück in seine Heimat Argentinien. Im Schreibtisch des Vaters findet der Erzähler eine Mappe mit Dokumenten zu einem Kriminalfall. Ein Mann namens Alberto Burdisso, ein „Faulkner’scher Idiot“, wie es mehrfach heißt, wurde in einer Provinzstadt brutal zusammengeschlagen, in einen Brunnen geworfen und schließlich mit Erde überhäuft. Es wird sich im Verlauf der Ermittlungen herausstellen, dass es um Geld ging, um Betrug und um ein Haus, das Burdisso sich gekauft hatte – das Geld kam vom Staat als Entschädigung für die Ermordung seiner Schwester durch das Militärregime. Diese Schwester ist das Bindeglied zum Vater des Erzählers.

Daraus allerdings wird kein spannungsgeladener Plot – Prons Roman ist eine Annäherung an den Vater, vielleicht sogar eine Form von nachgetragener Entschuldigung an eine ganze Generation. Und es ist eine Geschichte, die auf Fakten basiert. „Als mein Vater das Manuskript dieses Buches gelesen hatte, war es ihm wichtig, einige Anmerkungen zu machen, die seine Sicht der Ereignisse wiedergeben und gewisse Fehler berichtigen.“ Die vom Vater autorisierte Version hat Pron ins Internet gestellt. Seinen Roman gibt es quasi zweimal. Die fiktionalisierte Fassung, jene in Buchform, verweigert sich konsequent jeglicher Glätte, Eleganz und innerer Kohärenz. Das hat seine Ursache in der Person des Erzählers, der gleich auf der ersten Seite erklärt, er habe in jenen acht Jahren in Deutschland so viele Drogen genommen, dass jegliche Erinnerung gelöscht sei. Der Mann erinnert sich weder an seine argentinische Kindheit und Jugend, noch fällt ihm der Name des Psychiaters ein, der ihn in Deutschland behandelt hat. Das mag stimmen oder nicht, als literarische Grundlage ist es sehr wirksam – der Erzähler fängt bei Null an und hat jegliche Freiheiten.

„Kinder sind die Detektive ihrer Eltern“, denkt er und macht sich auf die Suche, auch auf die nach sich selbst. Es sind Fragmente einer Biografie, die da aus dem Nebel der Bewusstlosigkeit auftauchen. Der Erzähler ist Literaturwissenschaftler; er weiß um das Verhältnis von Wahrheit und Erfindung in der Fiktion. Also erfindet er sich selbst auch gleich neu, während er, als Fundament einer gesicherten Faktizität, über Seiten hinweg relativ umständlich und schlecht geschriebene Zeitungsartikel im Fall Burdisso zitiert. Die Geschichte der Eltern während der Militärdiktatur schält sich aus Gesprächen mit der Mutter und den Geschwistern und aus Erinnerungsblitzen des Erzählers grob heraus: Sie waren Mitglieder einer marxistisch-leninistischen Gruppe, deren revolutionäre Ziele vom Militärregime pulverisiert wurden.

In Prons Text gibt es weder Moral noch eine Conclusio, außer der, dass genau das ein Mangel sein könnte. Im Grunde hat Pron genau jenen Roman geschrieben, den er sich als das Ideal des Vaters imaginiert: „Kurz, aus Fragmenten bestehend, mit Lücken. Geschichten, die sich wieder und wieder verdoppelten wie der Tintenfleck auf einem bis zum Überdruss gefalteten Papier, ein winziges, sich mehrfach wiederholendes Thema wie in einer Symphonie oder im Selbstgespräch eines Idioten.“ Das Selbstgespräch hört mit dem Ende des Romans nicht auf. Patricio Pron hat einen verheißungsvollen Anfang gesetzt. Christoph Schröder

Patricio Pron: Der Geist meiner Väter steigt im Regen auf. Roman. Aus dem

Spanischen von Christian Hansen. Rowohlt-

Verlag, Reinbek 2013,

220 Seiten, 18,95 €.

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