zum Hauptinhalt

Kultur: Selten gelacht

Saisonfinale am Deutschen Theater Berlin: Komödien bei der Langen Nacht der Autoren

Die deutsche Gegenwartsdramatik steht ja in dem Ruf, ungefähr so humorvoll zu sein wie ein Soziologenkongress. Völlig zu Recht, nach allem, was man sieht und hört. Als die Journalistin Elke Schmitter bekannt gab, sie wünsche sich als Alleinjurorin der Langen Nacht der Autoren am Deutschen Theater von den Dramatikern dieser Republik nichts als Komödien, dachte man also: Das kann ja heiter werden! Aus 140 Einsendungen hat Schmitter ihre Wahl getroffen, vier Stücke wurden in der Langen Nacht zum Abschluss der Autorentheatertage in Werkstattinszenierungen vorgestellt, ein fünftes – Mathilda Fatima Onurs „Blinde Punkte, Sterne“ – wandert gleich ins Repertoire des DT. Volle Lachsalven-Offensive also.

Natürlich gebührt Schmitter Respekt für ihren Mut zum Komödiengenre. Die Literaturkritikerin mit freimütig eingestandener Theaterferne hat in ihrer Eröffnungsrede schön selbstironisch die Subjektivität ihres Amtes verteidigt – als Queen habe sie den Daumen heben oder senken dürfen: „I was amused, or: I was not amused.“ Wenn man nun bekennt, dass man am Ende des Abends, weit nach Mitternacht, bloß noch die Gnade der Sommerpause herbeisehnte und ungefähr so oft lachen musste wie in Peter Steins zehnstündiger „Wallenstein“-Inszenierung, setzt man sich natürlich forciertem Miesepeter-Verdacht aus. Über Humor lässt sich nicht streiten. Oder, alte Tschechow-Binse: Was dem einen die Komödie, stürzt den anderen in Tragödien-Trübsal.

Spaß beiseite. Viel interessanter ist ja, was die Theaterschreiber unserer Tage so umtreibt. Julia Wolf etwa, Jahrgang 1980 und Absolventin eines Studiums der Neueren Deutschen Literatur, lässt in ihrer Farce „Ein Mädchen namens Elvis“ eine junge Frau zu Besuch bei ihrer wunderlichen Oma Bertold hereinschneien. In deren Wohnung hocken auch der übergewichtige Essen-auf-Rädern-Lieferant Henri und die gebildete polnische Putzkraft Viola und palavern über Liebe und Dosenbier, dem nahenden Hitzetod der dehydrierten Großmama entgegen. So weit, so arm. Aber Autorin Wolf drängt als Kind unserer diskursversierten Tage der pflegebedürftigen Handlung noch die Metaebene auf. Die Titelheldin, die sich Elvis nennt, fällt als Weltenschöpferin aus der Rolle, die das Ganze inszeniert und um die adäquate Form ringt. Wie von sozialer Verwahrlosung erzählen, wie vom Generationenkonflikt? Große Fragen, keine Antworten. In der dürftigen Werkstattinszenierung von Anne Sophie Domenz bleibt Margit Bendokat der einzige Lichtblick, die mit erprobtem Stoizismus auf dem Bühnensofa vor sich hinkichert, während Katrin Wichmann als Elvis besonders flüssig der Resümee-Satz über die Lippen geht: „Abendfüllend ist das aber nicht“. Problem erkannt, Problem gebannt? Leider nein.

Die Themen, die sich bei der Langen Nacht als Leitmotive erweisen sollten, klangen bei diesem Auftakt schon an: die Untrennbarkeit von Leben und Kunst, Alkoholmissbrauch und Geldsorgen.

In dem Stück „Paradiesvögel“ von Judith Kuckart – die immerhin seit 1990 Romane veröffentlicht – führen die Bewohner einer ostdeutschen Kleinstadt das Musical „Carmen“ auf. Polizist Hannes hat es geschrieben, Studienrat Venzke inszeniert, und Carmen, die ukrainische Schuhverkäuferin, die allen den Kopf verdreht, spielt die Hauptrolle. Bald ist zwischen den privaten Liebesquerelen der Darsteller und ihren Rollen nicht mehr zu unterscheiden, wohl aber durchschaut man, weswegen Kuckart „Paradiesvögel“ als Komödie deklariert hat: weil man ihr sonst die unfassbare Ansammlung an Pappkameraden und Klischees erst recht um die Ohren hauen würde. Gegen Figuren wie den herzensguten Anekdoten-Karl, der sich sein Leben an der Fischbratbude rosig trinkt, kann aber auch die Regie von Alize Zandwijk nichts ausrichten, und die wunderbare Inga Busch als Carmen sitzt in roten Pumps verloren auf dem Plastikstuhl.

Viel wird darüber debattiert, ob man von Gegenwartsdramatikern noch Stücke für die Ewigkeit erwarten dürfe, oder ob nicht gerade der Ex-und-Hopp-Gebrauchscharakter ihrer Werke die Diskurse unserer Zeit angemessen reflektiere. Man kann aber auch tiefer ansetzen. Mit dem schlichten Wunsch: Hoffentlich wird das nächste Stück keine Qual.

David Lindemann hatte vor vielen Jahren mal Erfolg mit der Groteske „Koala Lumpur“, danach vergaloppierte er sich mit Theorie-Western-Trilogien und ähnlichem in der Prärie der Nachwuchsdramatik. Sein Stück „Getränk Hoffnung“ ist nun der bescheidene Höhepunkt des Abends. Zwar geht auch hier Referat vor Handlung. Tief sitzt in unserem Land die Angst vor dem well made play, und schon gar nicht lachen wir gern, ohne zu lernen. Immerhin hat Regisseur Mathias Kaschig das Stück um die Hälfte gekürzt und mit tollen Schauspielern wie Maren Eggert und Peter Jordan zügig auf die Bühne gebracht.

Ein Herr Bond (Arnd Klawitter) kommt zum Beratungstermin bei seiner Bank, auf einer Bank im Park. Kundenbetreuerin Merkel verkauft das Konzept der Post-Finanzkrisen-Ära: Die Banken wollen nicht mehr unser Geld, sondern unser Vertrauen. Wohlgefühl als Währung. Mehr als diese eine Idee hat das Stück zwar nicht, aber immerhin, mehr als andere.

Zum Abschluss wird „Krauses Erzählungen“ gegeben, eine Prekariats-Schmonzette. In der Regie von Sascha Hawemann lallen und labern zwei Säufer als Pseudo- Beckett-Figuren in einem Berg von Pizzakartons, bis Gott erscheint. Da gab es sogar Buhrufe, das muss man sich vorstellen. Autor Daniel Gurnhofer, ein Erziehungswissenschaftler, hat noch nie etwas veröffentlicht, aber man kann ihm die Ausschreibung des Deutschen Theaters nicht zum Vorwurf machen. Und vielleicht, mit dieser Beklemmung geht man in die Nacht, wird gegenwärtig auch tatsächlich nichts Besseres geschrieben.

Zur Startseite