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Semih Kaplanoglu: "Wir müssen die EU-Standards erreichen"

Regisseur Semih Kaplanoglu über seinen Berlinale-Sieg, Naturschutz, Wasserkraftwerke und seinen nächsten Film.

Semih Bey, hat der Goldene Bär Sie überrascht?



Natürlich! Mein Team war schon froh, dass „Bal“ im Wettbewerb lief, wir haben uns weiter keine Gedanken gemacht. Nach der Vorführung sagten uns aber viele, es sei ein sehr starker Film, da haben wir ein bisschen zu hoffen angefangen.

Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?

Das ist mein fünfter Film, und ich bin nicht nur Autor und Regisseur, sondern auch mein eigener Produzent. Das heißt, ich stelle selbst die Finanzierung auf die Beine. In Zeiten der Finanzkrise gibt es nicht viel Unterstützung für türkische Produktionsfirmen. Vielleicht wird es jetzt etwas leichter für mein nächstes Projekt. Die Produktionsbedingungen sind zurzeit enervierend, selbst große türkische Publikumsfilme kommen nur schwer zustande.

Was planen Sie denn als nächstes?

Ganz genau weiß ich es noch nicht. Vielleicht werde ich einen Horrorfilm drehen, einen Film über Menschen, die Angst vor allem haben. Oder einen Kostümfilm, eine historische Geschichte aus dem alten Istanbul. Ich denke auch über eine ganz kleine Low-Budget-Produktion nach. Aber es ist noch zu früh. Jetzt werde ich erst noch einmal nach Camlihemsin fahren, dem Drehort von „Bal“, um mich zu erholen.

Was hat es dort mit den Wasserkraftwerken auf sich, die Sie bei der Bären-Gala im Berlinale-Palast erwähnten?

Es betrifft diese gesamte waldreiche Gegend in Anatolien. Es gibt Pläne, dort Wasserkraftwerke zu errichten, einige dieser Großprojekte werden zurzeit vor Gericht verhandelt. Es werden bereits Bäume abgeholzt, die Kultur wird zerstört, Tierarten, die es nur dort gibt, sterben aus. Im Film erlebt der Imker Yakup ein großes Bienensterben, das entzieht ihm und seiner Familie die Existenzgrundlage. Die Zerstörung, die der Bau von Wasserkraftwerken anrichtet, ist tatsächlich groß. Es gibt viele Arbeitslose in der Region. Man verspricht ihnen Arbeit, deshalb akzeptieren sie die Baumaßnahmen. Aber es ist nur Arbeit für drei, vier Monate. Und das Traurigste: Der dort erzeugte Strom kann nur einen Bruchteil des im Norden der Türkei benötigten Stroms abdecken.

Kann Ihr Film dazu beitragen, dass diese fatale Entwicklung gestoppt wird?

Vielleicht. Wenn er zur Folge hat, dass mehr Menschen die Gegend besuchen, wenn Aufmerksamkeit für die Probleme dort geweckt wird kann. Vielleicht erkennen die Investoren ja, dass man aus der Region auch etwas anderes machen kann.

Soll die Türkei der EU beitreten?


Es wäre eine wichtige Sache. Wir müssen die EU-Standards erreichen, was demokratische Strukturen und Menschenrechte betrifft. Aber es geht nicht nur darum, Bedingungen zu erfüllen, es muss auch von innen kommen. Gleichzeitig sollte die EU transparenter sein, sie will sich bei der Türkeifrage offenbar nicht in die Karten gucken lassen. Auf jeden Fall müssen wir einander besser kennenlernen. Eines Tages wird die Türkei hoffentlich zur kulturellen Vielfalt der Europäischen Union beitragen, sie um Sprachen und kulturelle Traditionen bereichern. Wie das gelingen kann? Ich weiß es nicht.

Interview: Daniela Sannwald

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