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Von der Angstfantasie zum Urlaubsziel. Sommerfrischler aus allen Ländern kühlen sich die sonnenverbrannten Schädel im Schwarzwald.

© Uli Deck/dpa

Serie Farben des Sommers (12): Wo die Legenden leben

Die Römer mieden ihn. Hemingway brachte er ebenfalls zur Verzweiflung. In unserer Serie Farben des Sommers geht es diesmal in den Schwarzwald.

Was kann der Sommer schon ausrichten gegen Fichten, die dunkel noch den letzten Hügel emporklettern? Kein Sonnenstrahl dringt durch, nicht mal bunt beklecksen kann er sie mit letzter Kraft. Sommer? Woanders vielleicht. Einst trauten die Römer sich nicht mal rein in diese Finsterworld. Wegelagerer und Plünderer vermuteten sie dort, womöglich Elfen, Riesen, weiße Wanderer. Sie nannten ihren Schrecken silva nigra, schwarzer Wald – und siedelten am Rand. Wo kein Licht durchdringt, bleiben Geheimnisse verwahrt. Twin Peaks könnte hier spielen, die Horrorseifenoper, oder Stranger Things, das Mystery-Drama, das Millennials fesselt in ihren lichtdurchfluteten Lofts. Im Schwarzwald-Tatort brennen Blut-und-Boden-Nazis Mirabellenschnaps. Harald Schmidt, der den lustigen Kommissar geben sollte, sagte kurz vor knapp ab. Lustig ist jetzt gar nichts mehr.

Streng genommen ist schwarz nicht mal eine Farbe, eher die Absorption aller Lichtfrequenzen. Empfängt die Netzhaut keine Reize mehr, sehen wir schwarz. Schwarzer Freitag, schwarzes Schaf, schwarzer Tod.

Hemingway und Nabokov

Sogar der sonst wenig schreckhafte Hemingway scheiterte am düsteren Wald. Einst Reporter für den „Toronto Star“ in Paris, wollte der Schriftsteller für ein paar Tage den Schwarzwald durchwandern, um Forellen zu fangen. Blau blubbernde Bäche, grünes Moos, silbrig glänzende Fische im Überfluss, so muss er sich das vorgestellt haben. Doch der Bürgermeister von Triberg verweigerte ihm die Angelkarte, die Bauern jagten ihn mit Mistgabeln vom Feld. Hemingway, verzweifelt, ließ seine Wut an den Wirtsleuten raus.

„Es gab hier eine ordentliche Mahlzeit mit Kalbschnitzel, Kartoffeln, Salat und Apfelkuchen, vom Wirt selbst aufgetragen, der unerschütterlich wie ein Ochse aussah. Seine Frau hatte ein Kamelgesicht und genau jene unverwechselbare Kopfbewegung und den Ausdruck äußerster Stupidität, die man nur bei Trampeltieren und süddeutschen Bauersfrauen beobachten kann.“

Da war Vladimir Nabokov gnädiger, den der Schwarzwald an seine Kindheit auf dem Landgut Wyra nahe Sankt Petersburg erinnerte und der in aller Finsternis, unter sinistrem Strauchwerk, blau schimmernde Moorbeeren entdeckte. An seine Véra schrieb er: „Ich mag diesen Berg im schwarzen Pelzmantel aus Tannenwäldern - denn im Dunkel der bergigen Fremde bin ich näher an meinem Zuhause.“

Noch ein heißer Sommer - dann sterben die Nadelbäume, so Forscher

Vielleicht, das lehrt Nabokov, muss man nur die Perspektive wechseln. Schon wird aus bedrückenden Wipfeln ein schützender Pelzmantel. Schon wird aus Schatten Schutz vor allzu viel Licht. Und so strömen sie mittlerweile zu Tausenden in den Schwarzwald, Sommerfrischler aus allen Ländern, kühlen sich die sonnenverbrannten Schädel in den Karseen, die wie dunkelgrüne Augen zum Himmel glotzen, gefüllt mit Schmelzwasser. Wollen waldbaden, wo die Römer einst Wildlinge vermuteten. Finsternis als Kontrast gegen die grelle Gnadenlosigkeit der Welt. Wer zu lange in die Sonne schaut, braucht Dunkelheit, um das Auge zu besänftigen. Nicht mehr lange. Der Borkenkäfer höhlt die Fichten aus. Noch ein heißer Sommer, warnen Forscher, dann sterben die Nadelbäume. Von der einst bedrohlichen Kulisse blieben bloß entblößte Hügel.

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