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US-Senatorin Kamala Harris.

© Julio Cortez, AP, dpa

Die Frau an Bidens Seite: Eine ehrgeizige US-Vizepräsidentin – ist das möglich?

US-Senatorin Kamala Harris kann dreckig lachen und zeigt Selbstbewusstsein. Das verringert ihre Chancen, Vizepräsidentin zu werden. Eine Kolumne über Sexismus.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Heute reden wir, ausnahmsweise, über drei unterschiedliche Dinge. Zuerst: Sexistische Sprache, Misogynie 2020; eine Fortsetzung der Kolumne der vergangenen Woche.

Der amerikanische Präsidentschaftskandidat Joe Biden wird in diesen Tagen entscheiden und verkünden, welche Stellvertreterin an seiner Seite in den Wahlkampf einsteigt, „running mate“ heißt diese Rolle. Monatelang führte die kalifornische Senatorin Kamala Harris das Rennen an, eine einstige Staatsanwältin, rhetorisch und gedanklich flinker unterwegs als Biden, und dreckig lachen kann sie auch.

In einer Fernsehdebatte nahm Harris Biden auseinander, hielt ihm vor, vor vielen Jahren nicht kraftvoll genug für die Integration schwarzer Schulkinder gekämpft zu haben, und sagte: „Das kleine Mädchen im Schulbus, das war ich.“

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Biden haspelte und schwieg, und vor der nächsten Debatte flüsterte er: „Go easy on me, kid“, „sei nett zu mir, Kindchen“.

Die 44 bisherigen U.S.-Präsidenten waren Männer, ihre Stellvertreter auch

Wie alle anderen Anwärterinnen wurde Harris nun von Bidens Leuten befragt, und Bidens Leute waren erschrocken. Weil Harris sich nämlich kein bisschen entschuldigte. Weil sie schon wieder lachte und sagte, so sei Politik aber doch. Und in den finalen Tagen sinken deshalb Harris‘ Chancen: Ist sie nicht zu ehrgeizig? Will sie nicht immer noch die Nummer eins werden? Ist sie wirklich in der Lage, die loyal dienende Frau zu sein, die den regierenden Mann strahlen lässt?

Hillary Clinton war 2016 zu ehrgeizig, und Elizabeth Warren ist immer so furchterregend kompetent, und Amy Klobuchar ist so sarkastisch, das geht auch nicht. Müssen wir an dieser Stelle die Frage diskutieren, ob eine diese Beschreibungen einem Mann schaden würde?

Die 44 bisherigen U.S.-Präsidenten waren Männer, ihre Stellvertreter auch. Biden wird eine Frau nominieren, das hat er versprochen, und falls das Team gewinnt, wird die erste Vizepräsidentin Geschichte schreiben, doch wie weit sind wir wirklich?

Corona-Kurs in Deutschland wurde monatelang bewundert – jetzt nicht mehr

Zweitens, à propos Fortschritte: „Keine Macht der Welt kriegt uns Deutsche klein“, in altdeutscher Schrift auf einem Rücken in Übergröße, das ist unter vielen hundert Fotos von den Berliner Pro-Corona-Demonstrationen das eine, das mich zum Lachen bringt. Hier in den USA, wo ich mich aufhalte, wurde Deutschland wegen seines Zusammenhalts und wegen seines mitfühlend sicheren Kurses monatelang bewundert und beneidet. Nun höre ich: „Bei euch ist’s wie bei uns.“

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Drittens, à propos Empathie, ein Vergleich: Am 3. August 2019 brachte ein junger Mann, der „möglichst viele Mexikaner“ töten wollte, in El Paso 22 Menschen um; er hatte geglaubt, dass eine „Invasion“ auf dem Weg sei, so hatte es sein Präsident gesagt.

Der Präsident flog nach El Paso, aber keine Überlebenden und keine Angehörigen der Ermordeten wollten sich mit ihm fotografieren lassen. Jemand drückte der First Lady das zwei Monate alte Baby des erschossenen Ehepaars Andre und Jordan Anchondo in den Arm.

Die First Lady lächelte, der Präsident streckte den Daumen der rechten Hand in die Höhe und grinste ein Siegergrinsen wie bei der Eröffnung eines Spielcasinos. „Sollte ein Präsident nicht auch der oberste Trauerer der Nation sein?“, sagte mir Susan Glasser, „New Yorker“-Autorin. 

Jetzt trauert Amerika um John Lewis. Der Präsident kam nicht, und darum hörten wir Barack Obama zu, der eine Trauerrede auf den Bürgerrechtler hielt, intelligent und warm. „Wie John müssen wir alles geben, was wir haben“, das war einer von Obamas mahnenden Sätzen, „wir wurden mit dem Auftrag geboren, eine perfektere Union zu formen“, das war ein anderer.

Denn manchmal hängen drei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, doch zusammen, verbunden durch ein Wort wie Charakter.  

Klaus Brinkbäumer

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