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Kultur: Sezierung eines Verbrechens

Die Vaganten spielen um ihr Leben: Edna Mazyas "Die Schaukel"Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum hast du nicht geschrien?

Die Vaganten spielen um ihr Leben: Edna Mazyas "Die Schaukel"Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum hast du nicht geschrien? Warum hast du nicht geweint? Da steht sie im Scheinwerferlicht, das Mädchen mit dem blauen Kleid, dem kindlichen Zopf und den naiven Kulleraugen.Die Fragen treffen sie wie Schläge in den Unterleib.Gemein, verletzend, ekelhaft.Fast ist es, als würde sie von den Anwälten und Richtern, all den Männern mit den kalten Stimmen und gefühllosen Herzen, mit Wörtern und Paragraphen noch einmal vergewaltigt.Gewollt und herbeigeführt haben soll sie das Treiben auf dem Spielplatz.Sie, so die schrecklichen Staatsanwälte, sei die wahre Täterin, nicht die vier strammen Jugendlichen, die Hoffnung unseres Landes!"Die Schaukel" behandelt ein ungemütliches Thema.Edna Mazya hat es der israelischen Realität abgerungen.Der Vergewaltigungs-Prozeß und die Bühnen-Adaption des Falles waren Anfang der 90er Jahre ein Medienereignis.Auch wer hierzulande die Zeitung aufschlägt, kann sich ausmalen, was es für ein junges vergewaltigtes Mädchen bedeutet, sich den Tücken des Gesetzes auszuliefern.Folke Brabands Inszenierung bei den Vaganten stößt denn auch in eine aktuelle, brennende Wunde.Was dort mit filmisch harten Schnitten in gerade mal 70 Minuten abläuft, ist eine ungemein konzentrierte, kein überflüssiges Wort, keine schmückende Geste benutzende Sezierung eines Falles.Die Bühne ist ein mit schwarzen Mauern und klirrenden Gitterstäben umstellter Käfig.Die Schauspieler sind immer die gleichen, sie wechseln noch nicht einmal ihre Kostüme.Nicht um die Bühnenillusion einer Wirklichkeit geht es, sondern die Umkreisung der Wahrheit in einer künstlichen, also allgemein gültigen Realität.Carola Freiwald ist mal das Mädchen Dvori, mal Anklägerin.Andreas Erfurth, Alexander Heidenreich, Barnaby Metschurat und Jens Wachholz skizzieren mal mit wenigen Strichen coole, bierselige und hysterisch geile Typen, agieren dann wieder als juristische Argumentationsmaschinen.Die zwischen Aufschrei und Distanz klug pendelnde Inszenierung ist zeitgenössisches Theater, wie es der Senatsgutachter Peter Stoltzenberg begrüßen müßte.Kann irgendwer verstehen, warum er der Talentschmiede die Lebensberechtigung abgesprochen hat? FRANK DIETSCHREITWieder vom 7.bis 10.Mai, jew.20 Uhr.

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