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Lear Spielzeit

© Ruth Walz/Spielzeit Europa

Shakespeare-Inszenierung: Ein Narr hält Hof

Luc Bondys "König Lear" mit Gert Voss ist bei der Spielzeit Europa in Berlin zu sehen. Trotz des famosen Voss scheint die Inszenierung seit ihrer Premiere etwas eingebüßt zu haben.

Als ungeheuerliches Theaterereignis wurde Luc Bondys „König Lear“ mit Gert Voss in der Hauptrolle gefeiert, als die Inszenierung im Mai 2007 am Wiener Burgtheater Premiere hatte. Nun ist der Shakespeare-Abend in Berlin, als Höhepunkt der Spielzeit Europa, für drei Tage im Haus der Berliner Festspiele zu sehen – und bei dem Umzug nach Berlin muss etwas geschehen sein.

Gert Voss als König Lear ist natürlich noch immer famos. Sein selbstgerechter und selbstentzückter und selbstgewisser Blick, mit dem er von links hinten gemächlich auf die Bühne schreitet (man glaubt ihn förmlich auf einem Elefanten reiten zu sehen). Die herrische Gönnerhaftigkeit, mit der er ruckzuck seine drei Töchter an sich zerrt, um das Reich unter ihnen aufzuteilen, denn – ach! – zuviel Selbst macht müde. Die Allmächtigeneitelkeit, mit der er süßeste Liebesworte aus den Töchtermündern lockt. Die plötzliche Explosion des Zorns, als seine Lieblingstochter Cordelia (Adina Vetter) ihm keinen Honig um den Bart schmieren will. Schließlich die routinierte Herrscherkälte, mit der er die soeben Verstoßene dem König von Frankreich wie einen wertlosen Gegenstand hinterher schmeißt.

Man sieht bei Voss gleich: Dieser Mann ist wahnsinnig. Absolut durchgeknallt. Großartig, wie Voss die erste halbe Stunde zwischen und mit seinem Hofstaat spielt und wütet – als wäre der gar nicht da, als wäre Lear unfähig, überhaupt jemand anderen wahrzunehmen. Dieser Mann, das sieht man auch gleich, braucht die Leere, die Weite einer sturmgepeitschten Heidelandschaft, um die Tiefe seines Wahnsinns auszuloten und den Schmerz der Gekränktheit in vollen Zügen auszukosten. Leise flüsternd, mit einem Vogelnest auf dem Kopf und Lumpen an den Füßen, kommt Voss dann als irrweise Vogelscheuche aus dem Purgatorium zurück. Nun ist der Panzer des Stolzes verbrannt. Aber es ist zu spät. Seine geliebte Tochter wird sterben, und er selbst ist schon auf der anderen Seite, im unheimlichen Endspielland, in dem die Trümmer der menschlichen Illusionen traurig vor sich hinkokeln.

Shakespeares „König Lear“ sei eigentlich Beckett, heißt es. Auch wegen des Narren, der Lear mit Liedern, absurden Sprüchen und rätselhaften Witzen die Augen zu öffnen versucht. Birgit Minichmayr gibt diesen Narren wunderbar. Als Mischung aus artistischem Äffchen, hinkendem Gnom und grimassierendem Jahrmarktsclown. Der Hofstaat intrigiert, die liebende Tochter schweigt, Lear verausgabt sich in Arien der Wehleidigkeit. Nur der Narr spricht die Wahrheit. Und die scheint bei aller vom Job erzwungenen Leichtigkeit gehörige Schmerzen zu bereiten. Minichmayr zuckt, windet und verbiegt sich, als würde die Wahrheit, bevor sie ans Licht darf, wie ein Billardkugeldämon durch ihren Körper toben.

Voss und Minichmayr brillieren. Irritierend an dem viereinhalbstündigen Abends ist aber das Ganze, die Regie von Luc Bondy, die auf die Schwierigkeiten des Stückes nur halbherzige Antworten parat hat. Im Programmheft zitiert Bondy Beckett, der sagte, „König Lear“ sei eigentlich uninszenierbar: Und Bondy sagt: „Ich bin ganz seiner Meinung und will es dennoch riskieren.“

Man spürt dabei allerdings keine Leidenschaft. Lears überzogene Reaktion auf die Weigerung seiner Tochter, Süßholz zu raspeln, die eindimensional bösartig gezeichneten Schwestern Goneril (Andre Clausen) und Regan (Caroline Peters): Bondy versucht die Unmotiviertheiten, das Unstimmige und Märchenhafte des Stücks gar nicht erst zu leugnen, sondern überzieht das Spiel mit einem zarten ironischen Zuckerguss.

Damit macht er sich zwar nicht lustig, entrückt das Geschehen aber doch in die Ferne der nicht ganz ernst zunehmenden Fabel. Einerseits werden die Theatermetaphern, die Bilder von der Welt als „Narrenbühne“, betont ausgestellt, geradezu ins Publikum gezwinkert, während andererseits die Beiwerkszenen um die Intrigen der beiden Heuchelschwestern mit routiniert leichter Hand hingetupft sind, als wollte man sie schnell hinter sich bringen.

Wie die misslungenen Kostüme von Rudy Sabounghi, die von historischen Gewändern über Flitter bis zu Kampfanzügen reichen, kokettiert auch die Regie mit dem Fragmentarischen und Uneinheitlichen. In Kampfszenen macht es auf Fechtfilm, während man sich bei den Auseinandersetzungen zwischen Goneril und ihrem Mann Herzog Albany (Gerd Böckmann) an ein zeitgenössischen Ehedrama erinnert fühlt. Auf Dauer wirkt es wie eine ermüdende Werkstattarbeit in Breitbandformat, die die Hauptverantwortung auf die allerdings kräftigen Schultern der Stars verschiebt.

Stark wieder der Schluss: In einer bewegenden Szene begegnen sich Lear und Cordelia. Kurz darauf ist sie tot. Zerstört, erschöpft, mehr fiepend als atmend, zieht Lear seine geliebte Tochter auf einem Tuch nach vorne an die Rampe, kniet sich zu ihr, bettet ihren Kopf in seinem Schoß – und stirbt ebenfalls. Dann schleppen Soldaten auch seine anderen beiden Töchter heran. So schnell wird aus einer Pietà ein Leichenberg.

Noch einmal heute um 19 Uhr und morgen um 16 Uhr.

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