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Nachtigall küsst Lerche. Benjamin Lillie als Romeo, Wiebke Mollenhauer als Julia.

© Joachim Fieguth

Shakespeares "Romeo und Julia": Wie es euch zerfällt

Der junge Regisseur Christopher Rüping inzeniert „Romeo und Julia“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Dirty und drastisch soll es sein - bloß wozu?.

Familie Capulet pflegt eine fatale musikalische Leidenschaft. Unentwegt wird augenzwinkernd schlecht gesungen im Hause des reichen Veroneser Clans. Ganz gleich, ob Tochter Julia gegen ihren Willen mit dem Grafen Paris (Christoph Hart) verheiratet oder der Rest der gehobenen Stadtgesellschaft zur Kostümparty eingeladen werden soll: Wir erfahren es, indem Mutter Capulet (Natalia Belitski) sich in gewagte Tonhöhen schraubt und dazu opernparodistisch den Reifrock schwingt. Oder indem ihr Gatte (Michael Goldberg) klaftertief ins Rollenfach des patriarchalen Schmieranten greift und abendfüllend seine Italienischkenntnisse unter die Leute bringt.

Christopher Rüping ist mit "Das Fest" aus Stuttgart zum Theatertreffen eingeladen

Schon klar: Die kompromisslose Liebe, die Shakespeare den Teenagern Romeo und Julia in seiner mehr als 400 Jahre alten Tragödie andichtet, ist nicht alltagstauglich. Sondern sie kann – wie nun auch Regisseur Christopher Rüping im DT-Programmheft noch einmal wiederholt – nur im Theater, in der Musik oder im Film existieren. Dank ihrer durchschlagenden Evidenz hat sich diese These freilich nicht nur soziologisch, sondern auch inszenatorisch inzwischen redlichen Gemeinplatz-Status erworben.

Lars Eidinger etwa inszenierte „Romeo und Julia“ vor zwei Jahren an der Berliner Schaubühne plausibel als Pop-Märchen: Hinter unterhaltungsindustriell vorgefertigten Gefühlsschablonen gingen die Beteiligten lässig auf Echtheitssuche. Und sie hatten beißenden Humor.

Wonach das Stückpersonal jetzt eigentlich bei Rüping in den Kammerspielen des Deutschen Theaters sucht, ist deutlich schwerer auszumachen. Eingedenk der Alltagsuntauglichkeitsthese unternimmt der 30-jährige Regisseur, der mit seiner Bühnenversion des Dogma-Films „Das Fest“ vom Schauspiel Stuttgart zum diesjährigen Theatertreffen nach Berlin eingeladen ist, im Wesentlichen eine Art Dekonstruktionsversuch. Die Story schnurrt auf Jonathan Mertz’ Gerüstbühne, auf der stets sarggroße Schubladen für die Tragödienopfer bereitstehen, gleich mehrfach ab; jeweils punktuell und aus verschiedenen Perspektiven. Nachdem eingangs im Zeitraffer die Storyline skizziert und unter hohem Kunstblutaufkommen geklärt wäre, dass man den alten Mythos nicht mit der Beziehungsrealität des 21. Jahrhunderts verwechseln sollte, geht es dann los mit „Kapitel eins: Die Capulets“.

Grundsympathisch: Wiebke Mollenhauer spielt Julia

Neben den sangesfreudigen Eltern der von Wiebke Mollenhauer grundsympathisch gespielten Julia kommt in diesem Teil des pausenlosen 135-Minüters vor allem deren Amme zum Zug. Wiederholt schlüpft Michael Goldberg vom väterlichen Schmieranten-Outfit in ein sehr albernes Oma-Häubchen-Kostüm und drängelt sich mit versuchsanzüglichen Witzen, deren Pointe vorzugsweise aus einer mageren, kichernd vorgetragenen Fäkal-Vokabel besteht, durch die vorderen Publikumsreihen. Die Zuschauermienen, die dabei zwangsläufig mit dem Schauspieler ins Scheinwerferlicht geraten, gehören zu den erhellendsten Erträgen des Abends.

In „Kapitel zwei: Die Montagues“ wird der Humor zwar nicht unbedingt subtiler, aber immerhin tagesaktueller; zumindest für Theaterverhältnisse. So entblößt Romeos Kumpel Mercutio, der hier von einer in den Montague-Spross verliebten Frau (Lisa Hrdina) gespielt wird und in einer Art Fußball-WM-Regressionsblase festzuhängen scheint, zu vorgerückter Stunde eine schwarz-rot-goldene Schamhaarperücke und lässt dabei auch die obligatorischen „Schland“-Rufe nicht vermissen. Anschließend scheitert ein engagierter „Beschwörungs“-Versuch des Romeo-Penisses. Ausdauernd kniet Hrdinas Mercutio redend und fingernd vor dem freigelegten Geschlechtsorgan ihres Schauspielerkollegen Benjamin Lillie. Aber ach, es will nicht.

Kurzum: Der Abend wirkt gerade in seinem unbedingten Willen, entfesselt, dirty und drastisch zu sein, zumindest auf weniger schenkelklopferaffine Zuschauernaturelle eher zwangsoriginell denn gewitzt; weniger unterhaltsam als bieder. Ein ähnlicher Effekt war bei Stefan Puchers Inszenierung von Shakepeares „Was ihr wollt“ festzustellen, die kürzlich nebenan auf der großen DT-Bühne Premiere hatte. Die Akteure, die man aus anderen Abenden teilweise in guter Erinnerung hat, spielen jeweils ihren eigenen Stiefel. Belitski verlegt sich als Lady Capulet im Wesentlichen aufs Schreien, Hrdina auf offensiven Körpereinsatz.

Und Benjamin Lillie, der sicher ein toller Romeo sein könnte, probiert und parodiert vor allem Posen. Spielerisch führt Rüpings Aufsplitterungskonzept in die komplette Beliebigkeit. Und erkenntnistheoretisch unterstreicht es das, was wir von Anfang an geahnt hatten: Dass der Mythos wesentlich größer ist als seine (im vorliegenden Fall zwischen Kunstbluttragödie und Comic hin und her hüpfende) Aktualisierung.

Wieder in den Kammerspielen des Deutschen Theaters am 2. , 3., 16., 24. und 30. April

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