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Shilpa Gupta stellt in Berlin aus: Schau nicht hin

Die gefragte indische Künstlerin Shilpa Gupta hat ihre erste große Galerie-Ausstellung in Berlin

„Schau nicht hin, rede nicht, höre nicht!“ Zu Füßen des Besuchers in der Galerie Volker Diehl und auch bei Bodhi-Berlin wuselt ein kleines, lautsprecherbepacktes Gerät umher, das ein bisschen wirkt wie ein verwirrter Marsroboter: losgeschickt, die Fremde zu erkunden, aber vor Angst und Heimweh plappert er nur noch Unsinn.

Die Parole geht auf das bekannte buddhistische Gleichnis jener drei Affen zurück, die dem Schlechten gleichgültig gegenüberstehen. Schau nicht hin? Diese Empfehlung sollte der Besucher besser gleich mal überhören. Denn die wichtigste indische Künstlerin im Bereich der neuen Medien zeigt ihre erste Einzelausstellung in Deutschland, und die ist nun alles andere als schlecht.

Schau hin! Shilpa Guptas Arbeiten konnte man in und um Berlin bislang nur vereinzelt sehen. Während einer dieser Gelegenheiten hat auch der Galerist Volker Diehl die heute 31-Jährige kennengelernt – und sich als Berliner Repräsentant angeboten. Eigentlich wollte Diehl noch ein wenig warten, doch in Berlin greift ein Phänomen um sich: Weil wichtige Galerien Dependancen in der deutschen Hauptstadt eröffnen, werden einige Künstler hier plötzlich doppelt vertreten. So auch Shilpa Gupta. Seit dem Frühjahr betreibt ihre Galerie Bodhi-Art mit Hauptsitz in Mumbai einen Berliner Ableger. Volker Diehl und der künstlerische Direktor von Bodhi-Berlin, Shaheen Merali, führen vor, wie man mit dieser Situation umgehen kann. Sie präsentieren eine vorbildliche Doppelpack-Ausstellung mit dem Umfang und der Akkuratesse einer Museumsschau, inklusive eines Katalogs und einer Pressekonferenz zur Eröffnung. In diesem weit gespannten Rahmen kann Shilpa Gupta ihre unterhaltsame, schöne, lehr- und trickreiche Kunst entfalten. „StarsBlind BlindStar“ nennt sie die Ausstellung aus interaktiven Installationen, Fotografien, Soundstücken und Skulpturen. Es geht Gupta um das Verborgene und das Durchleuchtete, um Sehen und Gesehenwerden. Und um die blinden Flecke.

Vor einigen Jahren ist ein Buch mit dem Titel „India Obscura“ erschienen. Darin liest der potenzielle Indienreisende von den Merkwürdigkeiten dieses Landes, von Asketen, Eunuchen und skurrilen Traditionen. An diesen Titel lässt eine Arbeit bei Bodhi-Berlin denken: Auf einem Touchscreen-Monitor lacht ein indisches Kind den Betrachter an. Es ist umgeben von Schwärze. Berührt der Besucher den Bildschirm, kann er die Schwärze verschieben und immer mehr von der Fotografie freilegen. Noch ein lachendes Kind und noch eines. Sie gruppieren sich um einen Haufen Zerstörung. Schließlich findet man durch Berührung auch zu einer Bilderklärung: Die Kinder umlagern die Überreste einer Autobombenexplosion, bei der Menschen starben und verletzt wurden. Und sie lachen. Schau hin, schau nicht hin!

Shilpa Gupta kann sich über ihre Heimat wundern und das Staunen an den Betrachter weitergeben. Bei Bodhi-Berlin zieht sich eine Fotocollage von Menschenschlangen sechs Meter die Wand entlang. Bei Diehl sind Fotos von Wartenden auf Rollen geklebt. Diese Zylinder drehen sich nebeneinander, so dass immer neue Kombinationen zustande kommen, immer neue Menschen stehen miteinander an. Worauf man wartet und mit wem, wird egal.

Doch obskur ist nicht allein die Gesellschaft des Subkontinents, obskur ist die globale Sicherheitslage. Gleich mehrere Arbeiten thematisieren terroristische Bedrohungen. Gupta schickte Menschen durch London, die Koffer trugen mit der Aufschrift: „Enthält keinen Sprengstoff“. Sie fotografierte Stillleben aus Dingen, die bei jeder Flughafensicherung durchfallen würden. Die Fotoserie „Half Widows“ zeigt die Künstlerin als schwarze Witwe in weißem Hemd. Sie hebt eine weiße Flagge, als wolle sie sich ergeben. Das diffuse Bedrohungsgefühl unseres Jahrzehnts spricht auch die preiswürdige Installation in der Galerie Diehl an: Dort betritt der Besucher einen dunklen Raum und sieht seine Umrisse wie Schatten an einer Wand. Bewegt er sich, fliegen seiner Silhouette Dinge zu, die an ihr heften bleiben. In solchen interaktiven Installationen ist die Inderin auf der Höhe der Medienkunst. Neue Medien werden hier nicht eingesetzt, um technische Raffinessen zu erproben, sondern als angemessene Reaktion auf reale Bedrohung und fehlgeleitete Paranoia, die sich beide gleichermaßen aus technischem Fortschritt und Globalisierung speisen.

Shilpa Gupta wird zu Recht geliebt von Kuratoren, und auch die Preise für ihre Arbeiten sind beachtlich. Doch während Landsleute wie Subodh Gupta oder Raqib Shaw mit immer neuen Preisrekorden auffallen, wird die Künstlerin auf Biennalen und Festivals rund um den Globus eingeladen. „Der indische Markt ist heute dort, wo der Markt für chinesische Kunst vor zwei bis drei Jahren war“, urteilte Auktionator Simon de Pury kürzlich. „Same same – but different“, würde man in Asien sagen. Hoffentlich wird dieser Markterfolg mehr anders als gleich-gleich. Wenn Shilpa Gupta eine Rolle bei diesem Hype spielt, sollten wir uns darauf freuen.

Bodhi-Berlin, Halle am Wasser, Invalidenstr. 50/51. Galerie Volker Diehl, Lindenstr 35; beide bis 2.8., Di-Sa 11-18.

Daniel Völzke

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